Donnerstag, 26. Februar 2009

Zum Beginn der Fasten- u. Passionszeit: Sich die AUGEN öffnen lassen

Heilung eines Blinden bei Bethsaida - Markus 8+Markus 10 par., Joh. 9

Liebe Gemeinde,

in jedem der vier Evangelien wird von der Heilung eines Blinden berichtet, z.T. sogar mehrmals.
In einem Fall hat der Blinde einen Namen – Bartimäus – er ist also eine konkrete, vielleicht sogar historische Figur. In anderen Fällen hat der Blinde keinen Namen. Er könnte also ein Typos sein. Eigentlich könnte es jeder sein, auch ich und du.
Im Johannesevangelium ist der Blinde ein Blindgeborener. Das wird mit Nachdruck festgehalten. Es werden Spekulationen daran geknüpft, ob die Blindheit wohl eine vererbte Strafe – schlechtes Karma – ist.
Im Matthäusevangelium werden aus dem einen Blinden zwei Blinde, so als sollten aus ihnen Zeugen werden. Wenn etwas bezeugt werden sollte, mussten es ja mindestens zwei sein, die als Zeugen fungierten.

Um was geht es in all`diesen Geschichten? Geht es um Wunder? Um eine wunderbare Heilung, die einem konkreten Menschen das Augenlicht wieder gibt, die ihn wieder über den wohl wichtigsten Sinn, den Sehsinn, verfügen lässt?

Gewiss, geht es um ein Wunder. Es ist immer ein Wunder, wenn einem Menschen die Augen aufgehen. Wenn er wirklich sieht.

Aber das äußere Wunder ist viel mehr als nur eine einmalige konkrete Tat, von der dann nur ein gewisser Bartimäus profitiert. Dieses eine Wunder ist nur das Symbol für ein viel umfassenderes Wunder. Für eines, das jeden Menschen betrifft.

Jesus tritt als jemand auf, der Menschen die Augen öffnet, damit sie klar und eindeutig sehen können. Wie geschieht das? Und was geschieht da? Was sollen die Blinden denn Besonderes zu sehen bekommen? Vielleicht etwas, was man gar nicht nur mit zwei Augen erkennen kann? Etwas, wovon man zuerst eine Ahnung oder ein Gespür haben müsste? Etwas, wozu sich erst noch ein drittes Auge auf der Stirn, ein Auge des Geistes, auftun müsste?

Hören wir eine dieser Blindenheilungsgeschichten aus dem Markusevangelium:

Und sie kamen nach Betsaida. Und sie brachten zu ihm einen Blinden und baten ihn, dass er ihn anrühre. Und er nahm den Blinden bei der Hand und führte ihn hinaus vor das Dorf, tat Speichel auf seine Augen, legte seine Hände auf ihn und fragte ihn: Siehst du etwas? Und er sah auf und sprach: Ich sehe die Menschen als sähe ich Bäume umhergehen. Danach legte er abermals die Hände auf seine Augen. Da sah er deutlich und wurde wieder zurecht gebracht, so dass er alles scharf sehen konnte. Und er schickte ihn heim und sprach: Geh nicht hinein in das Dorf! (Mk 8,22ff)

Menschen führen einen Blinden zu Jesus. Ein Blinder muss geführt werden. Blinde gehen und denken nicht selbständig. Sie sind zu führen!
Jesus soll ihn berühren. Das also soll ihn sehend machen – und selbständig denkend, gehend und sehend. Die Berührung ist es, die das bewirkt.

Dass Jesus ihn nicht nur anrührt, sonder sogar Speichel dazu nimmt, ist ein weiteres, entscheidendes Detail. Der Blindgeborene im Johannesevangelium soll sich die Augen waschen. Da soll etwas weg- o. ausgespült werden. Im Markusevangelium wäscht Jesus dem Blinden mit Speichel die Augen rein und klar.

Haben Sie schon einmal in blinde Augen gesehen? Oder in Augen, die durch einen bösen Star trübe geworden sind und verschlossen wurden?
Aus solchen Augen spricht nichts mehr. Es kommt nichts heraus und es geht nichts hinein. Ein Blinder ist ganz in sich gefangen.
Solche Augen reinigt Jesus.

Und auch das ist wichtig:
Jesus nimmt den Blinden aus dem Dorf heraus. Und zum Schluss sagt er zu ihm: Geh nicht hinein in das Dorf!
Das ist so, als wenn Jesus den Blinden aus konformen Sichtweisen lösen will. Es ist geradezu so, als wenn die konkrete Sichtweise, die im Dorf herrscht, genau seine Blindheit ausmacht. Im Dorf sind lauter Blinde.
So tut Jesus einem Menschen die Augen auf. Er beginnt langsam zu sehen.
Zuerst sieht er nur verschwommen: Menschen wie Bäume. Er sieht nur undifferenziert, ungenau, alles fließt noch ineinander, es ist wie ein Brei. Er ahnt mehr, als dass er sieht.

Die zweite Berührung aber rückt die Augen vollends zurecht. Der zweite Blick ist klarer. Jetzt ist der ganze Mensch zurecht gebracht und nicht nur seine Augen. Jetzt kann er scharf und deutlich sehen.

Der erste Blick – das war auch schon etwas. Aber es war nur ein Schatten, was da zu sehen war. Die zweite Berührung und der zweite Blick macht alles erst wirklich klar.

Mir scheint, als hätten Markus, der das aufgeschrieben hat, oder Jesus, der das exerciert hat, Platon gekannt. Der hat ja das berühmte Höhlengleichnis erzählt:

Die Menschen leben – allegorisch - in einer Höhle, in der sie gefangen und gefesselt sind. Sie können nur in eine Richtung schauen – und zwar auf die hintere Höhlenwand. Hinter ihrem Rücken brennt ein Feuer oder die Sonne. Alle Gegenstände oder Personen, die hinter ihrem Rücken vorbeigehen oder vorbei getragen werden, werfen ihren Schatten auf die Höhlenwand. Nur den sehen die gefesselten Menschen. Sie sehen nur den Schatten der Realität. Sie sehen nichts im Sonnenlicht, im rechten Licht.

Gelänge es nun einem von diesen elenden Menschen sich zu befreien und ans Tageslicht zu gehen, so würde ihn die Sonne blenden. Das würde ihn schmerzen, er würde zunächst sogar gar nichts mehr sehen, er wäre geblendet, er würde blind sein. Dann würde er vielleicht die Menschen wie Bäume sehen, aber schließlich würde er sie erkennen, wie sie wirklich sind.

Käme er dann aber in die Höhle zurück, um den anderen von der Wahrheit zu erzählen oder ihnen von dem wirklichen Blick und der wirklichen Ansicht zu berichten - auch um sie vielleicht gar selber ans Licht zu führen - würden sie ihn für einen Verführer halten. Ihnen reichen die Schatten an der Wand. Diese halten sie für die wirkliche Welt.

Solch ein Führer oder Verführer zum Licht, ein Sichtbarmacher, ein Sehendmacher ist Jesus. Er ist ein Blindenheiler.


Allerdings: das ist jetzt die entscheidende Frage: Was sollen wir Menschen denn sehen - außerhalb der Höhle, außerhalb des Dorfes? Wie sind denn die Dinge wie sie sind?

Um diese Frage zu beantworten, müssen wir auf die Zusammenhänge unserer Bibelgeschichten achten. Da wird geschildert, was Blindheit ist, aber auch, was man sehen soll.
Markus schildert z.B. die Blindheit der Pharisäer, die wie ein Sauerteig sind, aber die kein Brot zum Sattwerden bieten. Jesus aber hat solches Brot. Er hat 5000 gesättigt und es blieben 12 Körbe übrig – also genug für alle, für alle 12 Stämme Israels.
Dann folgt die Geschichte der Blindenheilung. Und danach kommt das große Bekenntnis des Petrus: Du bist der Christus, der Messias, der Friedensfürst und Heilbringer.
Das sollen also die Blinden sehen. Das sollen sie erkennen: Wo das Heil ist. Wer das Heil ist.

Und wieso ist Jesus das Heil? Zunächst einmal ist das ja nur eine Behauptung. Es ist nur das subjektive Bekenntnis des Petrus.
Bei der Beantwortung dieser Frage hilft uns der Zusammenhang im Matthäusevangelium weiter.
Dort streiten sich zuvor zwei Jünger um die Macht. Wir wollen mit dir herrschen – sagen sie zu Jesus. Wir wollen zu deiner Rechten und zu deiner Linken sitzen. Das sind die beiden Blinden. Sie sind verblendet vom Machtrausch. Ganz so, wie die ganze kapitalistische Welt aufgebaut ist: Macht ist Geld und Geld ist Macht.
Da haben sich Christen zu fragen, was Gerechtigkeit ist. Darf es sein, dass die Erfolge der einen, immer die Misserfolge der anderen sind?! Kann sich eine gerechte Gesellschaft auf Opfer aufbauen?! Gewiss, man kann Opfer bringen, um voranzukommen. Aber man müsste sich selbst opfern. Meistens aber wird es so verstanden, dass man andere zu Opfern macht. Man will „auf ihren Schultern“ vorankommen. Das aber ist Blindheit. Die erzeugte Gewalt wird sich einmal zurückwenden. Sie ist zerstörerisch, auch wenn sie kurzfristige Erfolge zeitigt.

Jesus legt seinen Finger an solche Blindheit. Er heilt dann aber auch die beiden machtgierigen Blinden und macht sie zu sehenden Zeugen. Und wofür?

Es folgt der gewaltlose Einzug in Jerusalem, dann die Reinigung des Tempels von Kapitalinteressen, es folgen viele Gleichnisse und dann kommt Jesu Passion, Jesu Leiden und darin sein Sieg, Ostern.
Als würde Jesus sagen: Das ist der Weg. Seht doch! Schaut doch hin!

Und was ist die Glut in diesen Geschichten von den Blindenheilungen?
Es ist die Sehnsucht, richtig und klar zu sehen. Man muss sich – ebenso wie im platonischen Mythos – von vielen Fesseln und Augenbinden in der Höhle oder im Dorf befreien. Man muss sich befreien lassen, um zu sehen. Schließlich hält man dann sogar das Feuer, die leuchtende Sonne aus, die alles im rechten Licht stehen lässt. Man freut sich an ihr, wie der Adler, der ihr ins Gesicht schaut, sehend – ohne je wieder zu erblinden.

AMEN

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