Sonntag, 8. Februar 2009

Der 12jährige Jesus im Tempel - zur seelischen Entwicklungsgeschichte des Menschen

Die Geschichte vom zwölfjährigen Jesus im Tempel Lukas 2, 41–52


Liebe Gemeinde,

es gibt ein Bild von Max Ernst unter dem Titel: Die Jungfrau Maria züchtigt das Kind Jesus vor 3 Zeugen. Auf diesem Bild sieht man eine stattliche Frau in einem roten Gewand gekleidet mit einem schönen ernsten Gesicht. Sie hat ein Kind, ein lockiges Goldköpfchen, übers Knie gespannt und versohlt ihm den nackten Hintern. Er ist sogar schon ein bisschen rot. Der Heiligenschein des Kindes ist zu Boden gerollt, der der Maria aber sitzt korrekt über ihrem Haupt.

Dieses Bild ist natürlich eine Provokation. Es passt nicht zu dem allgemeinen Bild des immer braven und artigen Jesusknaben und der ach so sanften Himmelsmutter Maria. Es stellt uns aber die Frage: Wie steht`s mit dem Gehorsam? War Jesus gehorsam? Und wenn ja, wem? Gab es Konflikte? Und wenn ja, was können wir aus solchen lernen?

Die wohlbekannte Geschichte vom 12jährigen Jesus im Tempel könnte auf diese Fragen antworten.

Jesus ist also 12 Jahre alt. Nach damaliger Einschätzung ist er damit kein Kind mehr. Er ist ein Heranwachsender, ein Pubertierender, ein Teen, ein Halbstarker. In diesem Alter wurde man damals konfirmiert. Bar Mizwa heißt das bei den Juden. Ein Junge wurde in diesem Alter in die Gemeinde aufgenommen. Er durfte zum ersten Mal in der Synagoge vorlesen, d.h. er durfte unter Erwachsenen den Mund aufmachen. Was Jesus in der Geschichte tut, ist also nichts Ungewöhnliches. Ungewöhnlich ist, dass er so klug, so verständig, so interessiert ist.

Wenn man erwachsen wird, geht man eigene Wege. Es soll auch vorkommen, dass manche Jugendlichen von zu hause weg laufen und die Eltern ihre Kinder suchen. Das ist zwar auch heute noch nicht das unbedingt Normale, wenn es aber vorkommt, schweigt man lieber darüber. Dass es aber bei Jesus und in der Familie von Maria und Josef so vorkommt, hätte man nicht so schnell vermutet.

Als Maria dann ihren Sohn schließlich wieder gefunden hat, erhält sie noch eine ziemlich patzige und zunächst völlig unverständliche Antwort. Sie reagiert wahrscheinlich erst einmal verstimmt. Sie denkt darüber nach.

Wenn Kinder flügge werden, verstehen Eltern das normalerweise nicht so leicht und so schnell. Sie brauchen Zeit, bis sie es akzeptieren und annehmen können. Und diese Zeit beginnt für Maria jetzt.

Jesus aber hat tatsächlich einen ziemlich komischen Satz gesagt. Er klingt fast verstiegen. „Ich muss sein in dem, was meines Vaters ist“. Wir halten ja Josef für seinen Vater. Also dann mal los. Ab nach Nazareth!

Jesus scheint aber offensichtlich einen anderen Vater zu meinen. Das versteht Maria noch nicht. Wir wissen, dass Jesus an Gott denkt. Seine Antwort halten wir dann allerdings für sehr fromm, für ungewöhnlich fromm. So kann eigentlich nur ein Jesus denken: als 12jähriger immer nur in der Kirche! Das ist ja nicht normal.

Aber Jesus sagt eigentlich damit wohl etwas ganz anderes. Es geht nicht um seinen Aufenthalt in der Kirche oder im Tempel, sondern um „beim Vater sein“. Als würde Jesus sagen: Normalerweise denkt ihr doch, dass ich zu eurer Familie gehöre. Ihr denkt, dass ich aus Maria und Josef bin. Das ist richtig, aber ich bin noch weit mehr. Ich habe noch einen anderen Wurzelgrund, und dieser ist noch mehr mein wirklich eigener als der bloß familiäre.

Jesus wird hier etwas klar, was jedem Menschen im Verlauf seines Erwachsenwerdens klar werden muss: Ich bin mehr als das Produkt aus meinen Eltern. Ich – oder genauer: meine Seele wurzelt noch in einem ganz anderen Grund. Den muss ich jetzt aufsuchen. Aus dem muss ich jetzt wachsen, nachdem ihr Eltern mich 12 Jahre lang bei euch habt aufwachsen lassen.

Jesus nennt diesen anderen Grund nun ebenfalls „Vater oder Abba“. Das ist das Verwirrende. Dieser Grund ist ja auch Gott. Aber er meint eben nicht den gewaltigen, fernen, unnahbaren Gott der Tradition, sondern einen Gott, aus dem er ist und den er in sich selbst findet, wie er seinen eigenen Vater und seine Mutter auch in sich findet. Ja, diesen Gott findet er noch mehr in sich als diese.

Jesus findet also langsam zu seiner wirklichen Herkunft. Sie wird ihm bewusst. Er findet die Herkunft seiner Seele. Das hat nichts mehr mit seiner Familie zu tun. Das kann sogar zu einem Konflikt mit dieser führen, wie es unsere Geschichte und andere spätere Aussagen Jesu zeigen. Seine biologische Familie ist ihm nicht mehr so wichtig. Jesus wird so auch um einiges freier. Er ist nicht mehr so gebunden. Er wird unabhängiger.

Wie immer, wenn ein Mensch sich psychisch etwas erkämpft hat, kann er dann aus freien Stücken dem Alt-Hergebrachten und Traditionellen jetzt auch wieder ein Stück weit folgen. Deshalb geht Jesus dann auch wieder gehorsam mit seinen Eltern mit. Er lebt weiterhin in Nazareth bis ein ganz anderes Kapitel seines Lebens beginnt.

Diese kleine und unscheinbare Geschichte vom 12jährigen Jesus – die einzige Geschichte aus seiner Jugendzeit! – lässt uns eine tiefen Blick in seine Entwicklung tun. Es ist bei Jesus nicht wesentlich anders als es bei jedem Menschen sein muss, wenn er wirklich erwachsen, unabhängig und frei werden will. Es gibt Menschen, die bleiben ja immer gehorsam ihrer Herkunft verpflichtet. Sie bleiben immer artig in den Bahnen, die ihnen vorgeschrieben waren. Jesu Pubertätsgeschichte zeigt, dass es so nicht sein soll, auch wenn fast alle Eltern es sich so wünschen. Jesus ist gegenüber seinen Eltern schon unartig und ungehorsam. Das muss so sein, wenn er seinem eigentlichen Wurzelgrund wirklich gehorsam werden will. Wenn er seiner eigenen Seele folgen soll.

Für unser eigenes Leben stellt sich die Frage, ob wir nicht im Allgemeinen zu schnell und zu leicht gehorsam sind. Ob wir nicht zu oft und zu sehr kuschen.
Max Ernst wollte mit seinem anfänglich erwähnten Bild wohl provokativ zeigen, dass schon der kleine Jesus nie nur so gehorsam war, dass ihm die Jungfrau Maria nicht auch einmal den Hosenboden stramm ziehen musste – gegen alle gute Pädagogik. Dass Jesus nicht so gehorsam war, hat ihm nicht geschadet. Es hat ihn vielmehr zu dem Gehorsam geführt, der wirklich etwas Wert ist. Er war eine starke Persönlichkeit und dazu ist er geworden, weil er sich seinen wirklichen tragenden Grund erkämpft hat: „Wisst ihr nicht, dass ich sein muss in dem, was meines Vaters ist“.

Da müssen wir alle sein – im Hause unseres Vaters. Jesus hat es uns gezeigt, aber den Schritt in dieses Haus gehen… - das muss jeder selbst tun.

Zu guter Letzt: Warum sind diese Sätze nun eine Glutpredigt? Wo steckt hier die Glut-Erkenntnis, die sich zu einem Feuer auswachsen kann? Sie könnte so lauten: Jeder Mensch lebt nicht nur aus der Wurzel seiner biologischen Eltern. Wenn er voll und ganz der Mensch werden will, der er sein soll, muss er auch die andere Wurzel finden: GOTT. Um sie zu finden, muss er von der 1. Wurzel „weglaufen“. Das tun in der Pubertät ja auch fast alle. Aber viele verlaufen sich dann. Sie finden nicht den wirklichen Wurzelgrund, - anders als Jesus. Dann laufen sie wieder zum 1. Grund zurück – und werden mehr oder weniger wie ihre Eltern.

Wer sich aber nicht verläuft, der findet sich im Grund der Welt, in GOTT, wieder. So wird er der Mensch, der er wirklich werden soll.

Sich so zu verlaufen und sich so zu finden, das ist Glut und Feuer.

AMEN

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