Montag, 9. März 2009

Vom Verlorenen und vom Finden - Lukas 15

Predigt über Lukas 15 - Vom Verlorenen und vom Finden – ein Weg ins Er-
wachsene

Liebe Gemeinde,

Es gibt Texte in der Bibel da genügt ein einziges Wort, um sie zu interpretieren oder doch eine ganze Linie des Verständnisses vorzugeben. So bekannt sind diese Texte. Z.B. das 15. Kapitel des Lukasevangeliums. Da geht es um das Verlorene oder den Verlorenen oder die Verlorenen.

Verloren… wer oder was geht da verloren? Warum geht etwas verloren und wie? Und wie wird es wiedergefunden? Was bedeutet das Berichtete für Gott und die Menschen?

Bei dem Stichwort „Verloren“ denken wir gleich an eine ganze Palette negativer Begriffe. Verloren ist, was moralisch anstössig ist, das Ungezogene, Unartige, wo Hopfen und Malz eben verloren ist – das alles ist wirklich verloren.

Als ich in der kleinen Hosentaschenbibel das Bild zu unserer Geschichte sah, fiel mir schnell auf, dass die Bildseite mit dem einen, verlorenen Schaf und dem suchenden und nachsteigenden Hirten viel lebendiger und interessanter aussah als die andere Seite mit den 99 brav weidenden Schafen in der Herde. Bei ihnen war alles blass und langweilig, selbst die Hirtenhunde hatten sich verkrochen und nichts zu tun. Auf der Seite des sog. verlorenen Schafes aber gab es spitze Felsen und saftig grüne Pflanzen, die aus den Felsspalten herauskrochen, Abgründe und himmelshohe Spitzen. Alles war farbig.

Da ist ein anderer Gedanke schnell nahe: Wie, wenn es gar nicht in 1. Linie um das „arme“ Verlorene ginge, sondern um etwas ganz anderes? Etwas, was erst dahinter sichtbar wird: Erwachsen-werden oder Erwachsen-sein etwa?!

Wie wird man das - erwachsen? Nicht körperlich – das geschieht ja in der Regel von ganz alleine. Psychisch aber und noch interessanter: spirituell. Wie wird man ein geistlich reifer Mensch? Wie bleibt man im Glauben und in der Seele eben kein Kleinkind? Wie wächst man hin zu Gott, indem man erwachsen wird? Wie wird man ein erwachsener Mensch? Vielleicht sind das die wirklichen Fragen der Geschichten vom Verlorenen.

In der vorigen Glutpredigt hörten wir von der Heilung eines Blinden. Die Heilung bestand nicht darin, dass er alles irgendwie sehen kann, sondern dass er lernt, das Heil zu sehen. Das erst ist Heilung: das Heil zu sehen. Wenn man die Geschichten in Lukas 15 unter dem Leitwort „Erwachsen-werden“ betrachtet, gehen auf einmal ganz andere Aspekte auf. Eine neue Lesart erschließt die Geschichten anders. Eine solche neue Lesart wollen wir jetzt auch versuchen.

Von Kindern weiß man, dass sie gerne „Verstecken und Suchen“ spielen. Wenn die Kinder klein sind, denken sie gerne, dass man sie nicht sähe, wenn sie nur selbst nichts mehr sehen können. Zum Verstecken reicht es also, die Hände vor die eigenen Augen zu halten. Dann kann man nach Belieben unsichtbar oder sichtbar werden, gesucht werden oder sich finden lassen.
In einer kleinen jüdischen Geschichte spielen Kinder Verstecken. Ein Kind findet nun ein so verborgenes Versteck, dass es trotz allen Suchens nicht gefunden wird. Nach langer Zeit kommt das Kind aus seinem Versteck und muss enttäuscht feststellen, dass die anderen es gar nicht mehr gesucht haben.
Der Trauvers eines mir bekannten Brautpaares lautete: Ich will dich suchen und mich von dir finden lassen.
Man kann diese Worte oder auch den Vorgang selber auch auf das Verhältnis „Gott – Mensch“ anwenden. Wer versteckt sich da und wer sucht? Versteckt sich etwa Gott und die Menschen suchen – oder auch nicht? Verstecken sich die Menschen und Gott sucht – oder auch nicht?

Unsere Geschichte erzählt, dass sich ein Schaf verlaufen hat, sich versteckt hat und dass der Hirte es sucht. Jeder einzelne, meint das, ein jeder ist unendlich wertvoll. Ein jeder und eine jede ist der Suche wert. Und wenn ein Kind richtig erwachsen werden soll, muss es lange gesucht werden und es ist oftmals zu finden. Es darf weglaufen, ja es muss weglaufen. Die Felsen und Abgründe sind viel interessanter, ereignisreicher und spannender als die langweiligen Weideplätze der Herde. Aber es muss auch gesucht und gefunden werden. Es will auch gefunden werden. Auf keinen Fall will es am Ende sagen: Ihr habt mich ja gar nicht gesucht. War ich es euch nicht wert?
Daran krankt ja unsere Zeit, eben, dass wir die Kinder nicht richtig suchen. Es ist dies allerdings ein recht empfindlicher Weg mit vielen Verstecken und abgründigen Fallen. Das oben erwähnte Trauversprechen zeigt, dass „Suchen und Finden“ auch ein Thema für das Erwachsenenleben bleibt. Und es ist ein großes Thema für das Verhältnis und die Beziehung zwischen Gott und den Menschen. Es gehört in die Vorbereitung zum Erwachsen-werden. Wer genügend gesucht wurde, der wandelt sich. Das sehen wir deutlich in der 2. Geschichte unseres Textes, in der berühmten Geschichte vom sog. „verlorenen“ Sohn. Eigentlich aber heißt diese Geschichte besser „Vom Suchen und Finden eines Vaters und vom Suchen und Finden seiner beiden Söhne“.

Mit den Augen des älteren Sohnes wollen wir das Geschehen jetzt zuerst einmal betrachten.

Dieser Sohn sagt zu seinem Vater: Nie hast du mich so in den Arm genommen, nie hast du mich so gesucht wie den Hallodri, den Jüngeren, den, der sein Erbe schon vor der Zeit verprasst hat! Nie hast du für mich ein Kalb geschlachtet!
Das sagt zwar der ältere Bruder, psychisch aber ist er der Kleinere und Jüngere geblieben.

Was sagst du da? – erwidert der Vater. Alles, was mir gehört, gehört doch auch dir. Ich muss dir nicht mehr geben. Du hast ja alles. Du nimmst es nur nicht wahr. Wüsstest du es, dann könntest du jetzt auch geben wie ein wirklich älterer, erwachsener Bruder. Eigentlich müsstest du selber schon Vater sein, aber du jammerst wie ein kleines Kind. Du buhlst um meine Gunst. Du willst immer noch für deine Artigkeit und Tüchtigkeit belohnt werden. Deshalb auch bleibst du der Konkurrent deines Bruders. Du würdest ihn gerne überall sehen, selbst wenn es die Hölle wäre, wenn es nur nicht hier, zuhause, ist. Wirst du eigentlich nie satt? Vielleicht habe ich dich nicht genug gesucht als du klein warst. Das mag sein. Aber wenn es so ist, dann lerne wenigstens jetzt: Werde groß. Wachse über dich hinaus! Feier mit uns! Verspann dich nicht! Komm herein! Dein Bruder ist durch den Tod gegangen, so verloren war er. Aber er lebt. Er ist ein anderer geworden. Er ist erwachsen. Das ist zu feiern, nichts sonst.

Damit sind wir bei dem jüngeren Bruder.
Es sieht so aus, als wäre sein Weggehen, sein Verlorengehen, sein Verstecken bitter nötig gewesen. Es ging dabei gar nicht um das „süße Leben“. Das vermutet nur der andere Bruder, weil er projektiert. Er ist neidisch und phantasiert. Ein süßes Leben hätte er sich gewünscht, aber ihm fehlte der Mut dazu.

Hinausgegangen aber ist der andere. Vielleicht hat er sogar den einen oder anderen Erfolg gehabt, vielleicht hat er mit viel Risiko das eine oder andere aufgebaut. Seelisch aber ist er dabei leider auf den Hund, sogar aufs Schwein gekommen. Da „ging er in sich“ – heißt es in der Bibel.
C.G.Jung, der große Psychoanalytiker und jüngere Konkurrent von S.Freud, hat gesagt, dass in der 2. Lebenshälfte alle Lebensprobleme eigentlich religiöser Art sind. Wenn sie alt genug sind, genügen den Menschen die äußeren Erfolge und großen Lebensleistungen nicht mehr. Was soll das Haus, das große Auto, die Edelküche, die Traumreisen, wenn die Seele nicht satt wird?

„Er ging in sich“ und findet Fragen wie „Wo komme ich her? Warum bin ich hier? Wo soll ich hin?“, er sucht Heimat und Wurzeln, und er ist so wagemutig, es noch einmal freiwillig dort zu versuchen, wo er als Kind gezwungenermaßen herkam. In einem viel tieferen Sinn will er dort seinen Quell und sein Leben finden und die Antworten auf die wirklich existentiellen Fragen.

Wem ist der Vater eigentlich ähnlicher, könnte man fragen? Dem jüngeren oder dem älteren Sohn. So bitter es für den älteren klingt, es wird der jüngere sein. Den hat der Vater ja einmal ziehen lassen und den nimmt er verändert zurück, ohne ein Wort des Abstands oder des Vorwurfs oder der Moral. Wenn er ihn in den Arm nimmt, integriert er auch ein Stück von sich selbst. Da wird aus zweien wirklich einer. Auch der Vater hat sich versöhnt, ausgesöhnt mit dem, was er lange und gerne abgespalten und verdrängt hat. Er hat den Sohn gesucht, indem er gewartet hat. Er hat nichts erzwingen wollen. Jetzt zögert er nicht einen Augenblick, ihn anzunehmen, sobald sich auch nur von ferne eine Gelegenheit zeigt. Der jüngere Sohn ist erwachsen. Er soll Erbe sein und nicht nur Erbteil-Verschleuderer. Er hat sich gefunden. Er ist gefunden.
Zugleich ist der Vater so vollständig geworden. Er ist jetzt ein ganzer Vater, dem nichts fremd ist. Nicht sein entlaufener Sohn und nicht sein kleingebliebener, zurückgebliebener älterer Sohn.

Was sagt uns das? Was bedeutet es für unseren Glauben und für unser Leben?:

Gott sucht uns und wir suchen Gott.
Gott versteckt sich und wir verstecken uns.
Gott findet und wir finden.

Und so sieht der Weg aus, den der jüngere Sohn geht, um erwachsen zu werden:

Er geht hinaus in die Fremde und sucht das immer andere.
Er geht in sich und erkennt seine Armut.
Er geht zur Quelle und wird satt.

Und so ist es bei dem anderen:

Er bleibt immer Kind. Er leistet viel und will belohnt werden.
Ein guter Vater im Himmel wie auf Erden soll den Kleinen lieb haben.

Hoffentlich kommt der Moment, dass letzterer erkennen kann, dass es so nicht geht. Alle seine Bemühungen machen nicht reif. Sie machen neidisch, konkurrenzhaft und halten klein. Er will haben und kann nicht geben. Er will Sohn bleiben und verweigert sich, Vater zu werden.

Die Geschichte in der Bibel bleibt – wohl mit Absicht – offen. Aber dieser offene Moment ist vielleicht die letzte Chance, da hinein zu gehen, wo das Leben wirklich spielt. Am Fest teilzuhaben, das der Vater mit seinen Söhnen, mit beiden !, feiern will. Es ist nicht ein Fest, das er für sie veranstaltet. Es ist eines, das sie nur gemeinsam feiern können. Ein jeder ist Teil und trägt seinen Teil zum Ganzen bei.

So werden sie alle drei erst ganz.

AMEN

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