Sonntag, 26. April 2009

Kain und Abel

Kain und Abel - Ein Brudermord am Anfang der Kultur
Genesis 4


Liebe Gemeinde,

nach dem biblischen Mythos wurde zunächst ein Mensch erschaffen: Adam, der Mensch.
Dann spürte dieser eine Mensch bald, dass ihm ein gleichwertiges und gleichgewichtiges Gegenüber fehlte. Er hatte wohl Tiere. Die konnte er benennen und beherrschen. Aber es fehlte ihm das Gegenüber auf gleicher Augenhöhe. Es fehlte ihm gewissermaßen das Spiegelbild, in dem er sich selbst begegnen konnte und in dem er sich auch selbst erkennen konnte. Diesen Mangel empfand der Mensch – und Gott fand das auch.
Deshalb teilte Gott den einen Menschen im Schlaf in zwei Teile, in Mann und Frau. Er setzte so dem „isch“, dem Mann, den es durch die Teilung jetzt erst gab, die „ischah“, die Frau oder die Männin gegenüber. Den alten Adam gab es jetzt nicht mehr. Er war ein anderer geworden. Er war durch Eva zum Mann geworden, wie die Eva durch ihn zur Frau wurde. Dem Mann eine Gehilfin und der Frau einen Gehilfen. So sollte es im Idealfall sein. So war es gedacht.

Es ist aber nicht immer so. Der Mann oder die Frau ist dem anderen bei weitem nicht immer Gehilfe. Es kann so weit gehen, dass der eine dem anderen ein Mörder wird. Brudermörder, Schwestermörder, Gattenmörder. Das ist auch eine menschliche Erfahrung und sie wird früh in der menschlichen Geschichte gemacht. Fast ganz am Anfang schon. Es könnte ein solcher krimineller Akt die Grundlage der Kultur sein. Kultur ist die Entgegnung zu einem solchen Verbrechen.

Kain und Abel, die Söhne von Adam und Eva, sind dieses Täter – Opfer – Paar des Anfangs.
Der eine ist ein Ackerbauer. Es ist Kain. Er arbeitet hart, kämpft mit der Erde. Er schuftet im Schweiße seines Angesichts, ganz wie es das Fluchwort aus dem verschlossenen Paradies sagt. Kain ist der Ältere, der Erstgeborene. Eva bejubelt diesen Sohn nach der Geburt. Kain besitzt bereits eine gewisse Kultur. Ackerbau ist Kultur – und vom Namen „Kain“ her ist er auch wohl eine Art Schmied, ein Techniker. Später wird er sogar eine Stadt gründen. Aber soweit ist es noch nicht.

Der andere Sohn, Abel, ist Hirte. Er wird als 2. Sohn in gewisser Weise mal eben so in die Familie hineingeboren. Eva verliert kein Wort über ihn, als wäre er nicht der Rede wert. Sein Name bedeutet soviel wie „Hauch“, man könnte auch sagen „kleiner Furz“.
Abel hat es irgendwie leichter im Leben als Kain. Er liegt auf der Wiese bei seinen Schafen, bläst Flöte, guckt in den Himmel und lässt die Hunde für sich arbeiten. Es gelingt ihm auch irgendwie alles. Das nämlich bedeutet die Aussage der Bibel: „der Herr schaute gnädig auf sein Opfer“. Es gelingt ihm alles. Trotz der unbedeutenden Anfänge – oder gerade wegen ihnen – ist er ein Sonnenkind.

Kain hat es schwerer. Manchmal gelingt ihm rein gar nichts. Es geht nichts mehr. Selbst Gott scheint an ihm und seinem Opfer vorbei zu schauen. Das ist bitter.

Warum beide so ungleich sind, oder warum ihnen so Ungleiches widerfährt, wird nicht erzählt. Es ist einfach so. Aber die Frage, warum oder mit welchem Recht das so ist, ist auch nicht so wichtig. Wichtiger ist, was daraus wird.

Kain wird bitter. Er kann seinen Bruder noch nicht einmal mehr in die Augen schauen. Er kann sogar noch nicht einmal mehr geradeaus in die Welt schauen. Er sieht niemandem mehr ins Gesicht. Er starrt nur noch nach innen. Da brodelt es: Eifersucht, Neid, Hass, Wut… es dampft und zischt wie in einer Hexenküche. Die Bibel schiebt an dieser Stelle einen fast unverständlichen, verstümmelten Satz ein, als begänne Gott selbst gegenüber dem verfinsterten Kain zu stottern. Vermutlich ist es so etwas wie eine Warnung, die da aus Gottes Mund kommt: Pass auf! Die Sünde lauert vor der Tür!

Aber Kain passt nicht auf. Er lässt seine Wut laufen. Aus Todeshass wird ein Mordplan. Wo keiner etwas sieht, auf dem Acker, auf dem Terrain des Kain, das er genau kennt, erschlägt er den „Furz“ – und dessen Leben ist vorüber wie ein Hauch. Abel, der Bruder, ist tot.

Vielleicht fällt uns bei diesem Brüderpaar das andere namenlose Brüderpaar aus dem Lukasevangelium ein. Da bekommt auch ein Jüngerer vom Vater anscheinend alles geschenkt, und der Ältere schuftet auf dem Feld. Der verbittert auch, aber ermordet hat er seinen Bruder nicht. Noch nicht! Der Vater ging hinaus und redete mit ihm. Wie es ausgeht, wissen wir nicht.

Bei Kain und Abel redet Gott, der Vater, auch noch einmal mit dem Älteren, aber da ist es schon zu spät. Deshalb sind die Sätze Gottes jetzt auch wie Keulenschläge: Wo ist dein Bruder? Wo?
Soll ich etwa des Hirten Hüter sein, antwortet Kain keck. Bin ich für ihn verantwortlich? Soll ich immer noch auf den Kleinen aufpassen?
Wir wissen, dass das infame, lügnerische Fragen sind, hinter denen Kain sich ja nur verbirgt. Er hat ja wirklich nicht aufgepasst. Nicht auf den Bruder und noch nicht einmal auf sich selbst.
„Sein Blut schreit zum Himmel“. Das ist der nächste Keulenschlag Gottes.
Gott übersieht nichts. Er lässt sich nicht täuschen. Man kann ihm nichts verbergen und es bleibt nichts verborgen.

Kain steckt in seiner Schuld fest. Nach der Weltordnung muss das Blut gerächt werden. Kain wird in Zukunft ein Getriebener sein. Er irrt umher. Einen Bruder hat er nicht mehr. Wer seinen Bruder tötet, der hat eben auch keinen Bruder mehr. Er muss ohne einen solchen auskommen. Die Erde ist durch das Blut entweiht. Sie wird ihre Frucht verweigern.

Damit kann ich nicht leben! schreit Kain. So nicht! Jeder hat ein Recht mich zu töten und in der Fremde kann ich alleine nicht überleben.
Doch! sagt Gott. Du wirst so leben müssen! Du bist gezeichnet, gebrandmarkt. Die Schuld bleibt. Du musst als Schuldiger leben. Aber dieselbe Zeichnung, die dich mahnt und aussondert, schützt dich auch. Keiner soll dich töten dürfen! Blutrache ist keine Lösung. Todesstrafe soll nicht sein! Das ist eine neue Weltordnung: Wer dich tötet, der soll unter einem siebenfachen Fluch stehen.

Kain lebte dann gezeichnet bis an sein Ende. Er war verändert durch seine Tat und die Folgen. Er bekam Kinder, denen er eine Stadt gründete, die er nach seinem Sohn Henoch benannte. Der gezeichnete, schuldige Mensch wurde der Urvater der Kultur. Als hätte seine Untat diese erst möglich gemacht. Denn worin bestand diese Kultur? Nicht nur in der Stadtgründung, sondern darin, dass er lernte, hinfort auf sich selbst, auf seine Seele aufzupassen. Die Sünde lauerte ja immer noch vor der Tür.

Wir wissen jetzt auch, was die eigentliche Ursünde ist: Eifersüchtig sein, neidisch sein, begehren – und das geradezu so tief in sich verbergen, es geradezu nicht erkennen und benennen wollen, bis das Herz wirklich zur Mördergrube geworden ist. Es ist keine Sünde, dass solche Gedanken in uns sind. Sie sind unwillkürlich da. Aber dass man sie auswachsen lässt, was man aus ihnen macht - das ist Sünde.

Die Menschen sind verschieden. Das ist so! sagt die Bibel. Pass also auf, dass du deshalb nicht zum Mörder wirst – und Mörderschaft gibt es auch ohne Blutvergießen. Pass auf die Regungen deines Herzens auf! Kannst du noch offen und klar in die Welt schauen oder beginnst du schon den Blick zu senken. Dann wird es gefährlich. Pass auf!

Was hat das mit uns zu tun? Sitzen etwa Mörder unter uns? Wohl kaum. Aber potentiell sind wir alle gemeint. Die mörderhaften Regungen: Neid, Eifersucht, Missgunst, Gier und Begierde, kennen wir alle. Was das bedeutet und worauf wir zu achten haben, möchte ich an einer Geschichte verdeutlichen.

Die deutsch-tschechische Jüdin Ilse Weber hat in den 30iger und 40iger Jahre Gedichte, Lieder und Briefe verfasst, die vor kurzem veröffentlicht wurden. Von Beruf war Ilse Weber Kinderkrankenschwester. Sie hatte zwei Söhne, von denen sie den Älteren im Alter von 8 Jahren zu einer Freundin nach England in die Sicherheit schicken konnte. Er wurde gerettet. Die übrige Familie wurde in Theresienstadt und Auschwitz ermordet. In den Briefen an die Freundin und an ihren Sohn in England schildert Ilse Weber ganz schlicht und einfach, aber unglaublich beeindruckend und berührend, was und wie sie als Mutter und Jüdin im Naziherrschaftsbereich erlebt und empfindet – und was sie schließlich nicht mehr empfindet, weil es in ihr schon abgetötet worden ist. Ich frage mich, wie damals die Menschen, die dieses Leid verursachten oder mitansahen oder eben wegsahen, nicht empfinden konnten, was wir heute empfinden, wenn wir die Texte hören? Wie kann man so abstumpfen, dass man nicht mehr empfindlich ist für das Leid, das man selbst verursacht oder auch nur in Reichweite geschehen lässt?! Wo ist dein Bruder oder deine Schwester? Die Antwort ist immer noch: Ist mir doch egal!

Was ist die innere Glut, die uns heute die Geschichte von Kain und Abel vermittelt? Es ist nichts als der schlichte Rat: Pass auf deine Seele auf! Die Sünde lauert vor der Tür – zumal wenn du beginnst, neidisch zu werden. Und neidisch wirst du oder bist du, denn immer wird es einen geben, der es vermeintlich leichter hat als du, und den du zu einem Sündenbock machen kannst für alles, was in deinem Leben nicht rund läuft. Vor 60 oder 7o Jahren waren das die Juden, heute sind es andere, die zu Aussenseitern gemacht werden.

Wenn du Neid und Gier-Gedanken in dir spürst, dann senke den Blick nicht verstohlen nach unten, um den Gedanken noch mehr Raum in dir zu geben. Guck vielmehr hoch – und spuck es aus. Sprich die Gedanken aus – und sie werden wie Eis an der Sonne schmelzen.

So hältst du dein Herz rein und es wird nicht zur Mördergrube, auch wenn das Böse von Zeit zu Zeit hindurchzieht. Auf das reine Herz kommt es an. Das ist Kultur.

AMEN

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