Montag, 1. Juni 2009

Pfingstwunder - ein neues, altes

Pfingsten 2005 - Einheit in Verschiedenheit - Acta 2


Liebe pfingstliche Gemeinde,

ich habe schon mehr als einmal in verschiedenen Pfingstpredigten versucht zu erklären, was Pfingsten eigentlich bedeutet. Sicher bin ich nicht der einzige Prediger, der eben das versucht.
Und dennoch: die Menschen wissen trotzdem nicht, was das für ein Fest ist. Was feiern wir eigentlich? Es hat irgendwie mit dem Heiligen Geist zu tun oder mit dem Geburtstag der Kirche. Aber weshalb und wie – das ist weitgehend unbekannt.

In welcher Kulturvergessenheit leben wir eigentlich? Wir feiern ein Fest – 2 Tage sogar -, aber die meisten wissen nicht warum. Eigentlich dürfte nicht ich so fragen und Erklärungsversuche anstellen. Eigentlich wäre die ganze Angelegenheit umzukehren. Die unwissenden Menschen müssten fragen: Wieso feiern wir eigentlich? Was ist da wirklich, in der Tiefe und nicht nur an der Oberfläche geschehen? Sie müssten so fragen, weil sie das Unbekannte nicht einfach hinnehmen wollen. Dann könnte man gemeinsam nach einer Antwort suchen. Eine Erklärung, die wirklich greift, gibt es nämlich gar nicht. Dieses Fest ist nicht erklärbar. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum von allen Erklärungsversuchen nichts oder nur so wenig hängen bleibt.

Dieses Fest kann man nur erfahren oder erleben, und genau das bleibt hängen. So ist es ja immer: nur was man erlebt, bleibt im Gedächtnis. Was nur im Kopf geschieht, wird auch schnell wieder vergessen. Der Kopf reicht nicht für die Speicherung alles dessen, was durch ihn hindurchgeht. Eine Erfahrung müssten wir also suchen und nicht nur eine Erklärung.

Was zu Pfingsten geschehen ist, haben wir versucht, in einer Vorbereitungsgruppe zu dieser Glutpredigt herauszufinden. Ich bin zutiefst dankbar für dieses Gespräch. Noch im Nachhinein ist mir aufgegangen, welche tiefen Gedanken und Fragen wir berührt haben. So etwas ereignet sich nur, wenn nicht einer alleine nachdenkt, sondern wenn mehrere Menschen sich vernetzen und miteinander suchen. Dann wirkt schon der Heilige Geist, und Erfahrung stellt sich ein.

Eine unserer Fragen lautete z.B., welchen Zugang wir Menschen eigentlich zur Wirklichkeit haben. Wie ereignet sich Verstehen, Begreifen, Einleuchten? Das ist eine zugegebenermaßen recht abstrakte Frage, aber sie ist dennoch wesentlich.

Seit fast 400 Jahren denkt man in Europa, dass wir ausschließlich mit Hilfe unseres Verstandes und unserer Vernunft begreifen. Wir forschen, messen, zählen, wiegen, zerlegen. Wir denken dann nach und kombinieren. So wird unsere Welt eine ergriffene und begriffene Welt. Aus diesem Begreifen wächst dann eine Handhabung, eine Technik, mit der wir die Welt noch einmal anders – technisch – in den Griff nehmen. Was aber nicht im Verstand aufgeht, zählt eigentlich nicht. Es gibt es nicht, oder es ist schlichtweg unvernünftig. Besser, man lässt es auf sich beruhen.

Langsam dämmert uns heutzutage, dass das so nicht alles sein kann. Die vernünftige, technische Weltbemeisterung birgt auch viele Gefahren. Technik alleine ist ambivalent. Sie hilft, aber sie tötet auch.

Viele Aspekte des Lebens gehen wirklich in unserem Verstand allein nicht ein und auf – und sie zählen trotzdem. Alles Geheimnisvolle, das Wunderbare und Wunderhafte, das, was plötzlich da ist, und niemand weiß woher – die Liebe, die Rührung, das Mitgefühl – es bleibt dem Verstand rätselhaft. Jede Religion – im echten und guten Sinn – geht in der reinen Verstandeswelt nicht auf. Das Wunderbare muss unbegriffen bleiben, wenn es nicht zerstört werden soll. Eine zerlegte Blume ist eben kein Schöpfungswunder mehr.

Ein Philosoph unserer Tage (Sloterdijk?) hat sich neulich im Spiegel so geäußert: Religion weist uns darauf hin, dass wir das Ungeheure des Lebens nicht zureichend erfassen können. Unser Verstand reicht dazu nicht aus. Er begreift nur den engeren Sektor.
Damit sind wir wieder bei Pfingsten.

Da wird von einem anderen Zugang zur Wirklichkeit, von der größeren Möglichkeit erzählt. Die Bibel nennt das den „Heiligen Geist“. Er wirkt 1000 Möglichkeiten und unendliche Unmöglichkeiten. Man kann ihn nicht begreifen,- er ergreift uns. Man kann ihn auch nicht vorausschauend berechnen. Er kommt und geht wie der Wind und wie er will. Er brennt, entflammt, erleuchtet und verbrennt doch nichts. Er zerstört nicht, sondern belebt. Wie Feuer und Licht erhellt er alles. Die von ihm ergriffenen Menschen verstehen alles und sehen alles in einem anderen, neuen Licht. Er überfällt die Menschen, es erreicht sie und sie können nicht erklären, warum, weshalb, wieso.

Wer nur von außen, mit seinem Verstand das Phänomen betrachtet, begreift nichts. Der Verstand alleine sagt: Die sind betrunken, voll des süßen Weines. Das kann er analysieren, wenn er will.

Nur von innen aber versteht man, und man versteht sich, auch wenn jeder verschiedene Sprachen spricht.
Von außen wird eingeteilt: Kreter, Griechen, Römer, Juden; Mann, Frau; Alt, Jung.
Von innen, im Heiligen Geist, hat man an solcher Einteilung kein Interesse mehr. Von innen gesehen sind alle eins: Menschen, die im Geiste Gottes stehen.

Was die Außenstehenden sehr wohl erkennen, ist die Wirkung. Das Leben der Betroffenen ändert sich. Sie sehen mehr und handeln anders. Ihren Verstand gebrauchen sie auch – hoffentlich, aber sie verfügen auch noch über größere Erkenntnisquellen, die den Verstand erst in seine angemessene Position rücken. Die geistbewegten Menschen stehen im Geist, der sie lieben heißt und tief verstehen lässt, wie die Rätsel der Welt und des Lebens sich lösen, von Gott her lösen.

Petrus beginnt in seiner Pfingstpredigt, der ersten, dieses Phänomen den Außenstehenden zu erklären. Das ist nicht einfach, denn wie soll man Blinden die Farbe erklären? Wie kann man Verstandesgrenzen überschreiten, wenn dasselbe nur verdankt sein kann. Allenfalls kann man sich nicht widersetzen und einen Versuch zulassen.

Petrus erklärt, dass das alles nicht neu ist. Schon der Prophet Joel hat am Ende des 1. Bundes eine solche Geisterfahrung angekündigt. Auch er hat schon gewusst, dass es mehr gibt als das, was Menschen denken können. Diese Geisterfahrung hat nicht nur etwas Formales. Sie ist nicht nur eine Begabung oder eine besondere Fähigkeit. Ihr gehört auch ein besonderer Inhalt zu: Jesus, der Christus. Petrus sagt: Jesus lebt – von Gott auferweckt und mit dem Geist beschenkt. Sein Geist soll sich in uns fortsetzen. Er soll in uns Gestalt werden, damit wir zur unterschiedenen Einheit und zur gegenseitigen Zuwendung finden. Damit wir jedes Spalten und Abtrennen lassen. Ein solcher Geist ist eine große Macht, die sich auf die Menschen setzt.

Jemand in unserem Vorbereitungskreis hat gefragt, ob das wohl noch einmal kommt, dass sich all die zerspaltenen Menschen als die eine Einheit empfinden? Juden und Christen, Christen und Moslems, Abendland und Ferner Osten, Katholiken und Protestanten – und welche Spaltungen es sonst noch geben mag.

Babylon – die Nur-Rationalität und die sich ihr verdankende eindimensionale Technik haben die Trennungen – im Sinne der Wissenschaften – herbeigeführt. Das ist notwendig und wir verdanken dem viel. Aber es ist nicht alles.

Der Heilige Geist will das ändern. Er macht nicht gleich, er nivelliert nicht – das wäre nur eine Verarmung, aber er ermöglicht ein Verstehen gerade des Verschiedenen und Unterschiedenen. Die verschiedenen Sprachen bleiben alle, aber sie trennen nicht mehr. Der Heilige Geist spricht sie alle, nur Esperanto will er nicht verstehen. Man versteht sich trotz der verschiedenen Sprachen.

Zwei Bemerkungen zum Schluss:

In diesen Tagen wurde an das Kriegsende vor 60 Jahren gedacht, und in Berlin wurde das einzigartige Denkmal für die 6 Millionen ermordeten Juden eingeweiht. Da steht ein Mahnmal und Friedhof im Herzen unseres Landes. Ein tieferes Symbol kann es hier nicht geben. Was in der Zeit vor 60 Jahren geschah, war der Gipfel einer Fehlentwicklung des Menschen. Man hat Menschen noch mit kühlem Kalkül und mit technischer Perfektion gemordet – und damit die Menschlichkeit selbst getötet. Die Seele der Menschheit und aller Menschen ist durch diese Brutalität im Kern tödlich getroffen worden.

Der Heilige Geist will auch diese, die tiefste Wunde heilen und zusammenführen, was der Hass zertrennt hat. Er will Frieden und Versöhnung. Wir werden diese Heilung verstehen, annehmen und leben können, wenn wir uns vom Heiligen Geist entzünden lassen.

Und das zweite: Wir veröffentlichen heute unser Gemeindecredo und bekennen es. Etwa 30 Menschen haben diese Worte im Gemeindeseminar formuliert, und wir hoffen, dass sich auch noch viele andere in diesen Worten wiederfinden können. Es ist wichtig, den Geist dieser Worte aufzuspüren, um in ihnen das Wehen auch des Heiligen Geistes zu entdecken.

So wünschen wir es uns: Veni, Creator Spiritus - Komm, Heiliger Geist, Schöpfer! Erschaffe uns neu!

AMEN

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