Dienstag, 19. Mai 2009

Jakob und die Leiter zum Himmel

JAKOB - Gen 28,10ff Sprossen zur Erde und zum Himmel
Eine Weihnachtsgeschichte nicht nur zur Weihnachtszeit



Es war als hätte der Himmel
Die Erde still geküsst
Dass sie im Blütenschimmer
Von ihm nun träumen müsst

Liebe Gemeinde,

dieses sommerliche Nachtgedicht Eichendorffs scheint mir zugleich das Geheimnis der winterlichen Weihnacht, der Christnacht, zu fassen: Es ist als küsste der Himmel die Erde und diese träumt fortan im Schönsten, was sie hervorbringen kann – im Blütenschimmer – vom Himmel,- allerdings ohne zu vergessen, dass sie Erde bleibt und dass es Nacht ist.

Es mag hoffentlich viele leise und zauberhafte Nächte im Laufe des Jahres geben, aber es gibt auch die lauten und schreienden und leider auch viele brutale, gewalttätige, leidvolle Nächte. Die Nacht ist die Zeit des Zaubers und zugleich die Zeit des Schreckens.

Diese eine Nacht aber, die Christnacht, ist anders. Es liegt mehr als nur ein Zauber über ihr. Es liegt ein Geheimnis in ihr. Jeder Schrecken ist fern.

Jahrhunderte bevor Jesus in einer solchen Nacht geboren wurde, befand sich ein Mann auf der Flucht. Jakob hatte seinen alten Vater und seinen älteren Bruder Esau betrogen. Er hatte sich das Erbrecht, ein Segensrecht, den Erstgeborenen-Segen erschlichen, sich dadurch aber auch seine nächsten Angehörigen zu Todfeinden gemacht. Er lebte jetzt in einem fortwährenden Schrecken. Schrecklich.
In einer tiefschwarzen Fluchtnacht legte er sich zum Schlaf auf den nackten Erdboden. Ein Stein diente als Kissen. Da sieht er im Traum den Himmel offen. Engel steigen auf einer Leiter auf und nieder. Himmel und Erde sind wie mit einer Nabelschnur verbunden. – und Gott spricht diesem erschrockenen Menschen seinen Segen zu: Ich, Gott, bin mit dir. Deine Nachkommen werden zahlreich sein. Sie werden ein Segen für die Völker sein.
Jakob wacht benommen auf. Er begreift nichts, aber er ahnt, wie anders alles sein könnte. Hier ist das Tor zum Himmel – sagt er, und macht seinen Kissen-Stein zum Altar, zum Heiligtum.

Das ist eine Weihnachtsgeschichte 1500 Jahre vor Jesus. Genau so geschieht es diese 1500 Jahre später in der Nacht von Bethlehem: Der Himmel öffnet sich. Engel singen. Die Nacht wird hell. Ein Kind ist geboren. Neues ist in die Welt gekommen. Es gibt einen Ausgang aus jedem Schrecken.

Das ist das ganze Geheimnis. Deshalb veranstalten wir jedes Jahr dieses Fest. Wir beschenken uns. Wir sind zusammen. Wir kommen in die Kirche. Alles geschieht, um dieses Geheimnis nicht zu vergessen: Der Himmel kann sich öffnen – und siehe, es wird alles neu.

Ist das nicht nur ein frommer Traum? So etwas wie eine Suggestion? Bleibt die Erde nicht immer doch die, die sie nun einmal ist? Sind die Nächte nicht rabenschwarz? Hängen die Menschen nicht müde und bleischwer in ihren Netzen und Strukturen? Was ändert sich denn?

Ja, sicher – so ist es auch. Aber dennoch gibt es diesen Traum. Er hält uns wach. Wir halten Ausschau nach dem Himmel, ob er sich nicht doch noch einmal wieder öffnet.

Deshalb fragen wir: Wo trifft die Himmelleiter des Jakob heute auf die Erde? Vor 3500 Jahren auf Jakobs Stein, gewiss. Vor 2000 Jahren auf Jesu Krippe, sicher. Aber heute?

Potentiell in einem jeden menschlichen Leben auch. Potentiell also auch bei uns. Warum sind unsere Augen also so gehalten, dass sie nicht sehen, welche Botschaften die Engel uns vom Himmel bringen?

Für Jakob lautete die Botschaft: Ich bin mit dir – und mit deinen zahlreichen Nachkommen.
In Bethlehem hieß sie: Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen.
Und wir brauchen heute auch keine andere Botschaft als diese.

Was bedeuten denn für eine altgewordene Gesellschaft wie die unsrige Nachkommen, Kinder?
Sie sind ein Segen und keine Sicherung der Renten- u. Sozialsysteme, wie man manchmal hört. Wir setzen den Segen aufs Spiel, wenn wir keine Kinder wollen und einfach nur immer älter werden. Wir verlieren den Segen, wenn wir unsere Kinder nicht mehr in den Mittelpunkt stellen. Wir können dann einmal niemandem mehr unsere Früchte anvertrauen.

Und Frieden auf Erden? Dieser Segenswunsch ist so aktuell wie lange nicht mehr. Der kalte Krieg ist Jahrzehnte vorbei, aber atomar gerüstet wird immer noch. „Frieden auf Erden“ muss die heutige Gewalt benennen und anklagen, damit sich kein fauler Frieden einschleicht.

Nun kommen aber nicht nur Botschaften vom Himmel. Die Engel tragen auch unsere Anliegen, unsere Klagen und Hoffnungen, unsere Schrecknisse zum Himmel. Das bewahrt uns vor der Wahnidee, dass alles von uns alleine abhängt. Dass wir selber alles alleine bewerkstelligen müssten. Von uns hängt so wenig ab – und doch auch wieder alles, weil es auf die Meinung und Haltung von vielen ankommt. Ich bin nur einer von diesen, aber immerhin. Meine Motivation ist von Gott gestärkt.

Himmel und Erde sind nicht auseinander zu reißen. Weihnachten bindet sie ganz eng zusammen. Das merken wir und das feiern wir.

Umberto Ecco, der italienische Philosoph und Romancier, ein Ungläubiger, ein Agnostiker, hat gesagt: Selbst wenn hinter Weihnachten keinerlei Realität stünde, selbst wenn nicht ein wirklicher Gottessohn wirklich ein wirklicher Mensch geworden wäre – wenn also der Himmel sich tatsächlich nicht öffnen würde und keine Leiter Himmel und Erde aneinander binden würde oder – um noch einmal mit Eichendorff zu sprechen – der Himmel die Erde nicht tatsächlich küssen würde – selbst wenn das alles nicht geschähe, sondern vom Menschen nur erdacht und erfunden wäre – es würde uns Menschen immer noch veredeln und für uns sprechen. Dass wir Menschen überhaupt so denken können, dass wir eine solche Sehnsucht haben, dass wir zutiefst ein Neues, ein anderes, einen Frieden und eine Verbindung von Himmel und Erde wünschen und ersehnen – das ist das Geheimnis. In einem viel tieferen Sinne als dem der bloßen Tatsächlichkeit wäre die Geschichte der Weihnacht dann also doch wahr.

Der christliche Glaube bündelt die große Hoffnung und die tiefe Sehnsucht der Menschen in einem kleinen Kind. So beginnt das Neue immer: klein, kindlich, jung.

Dann müssen auch wir mit dem neuen, anderen, friedlichen Menschen in uns so weihnachtlich beginnen: klein, kindlich-einfach, kindlich-weise.

Liebe Gemeinde, in dieser Nacht öffnet sich der Himmel und die Himmelsleiter trifft in einem jeden von uns auf die Erde. Letztlich ist unser Herz der Stein Jakobs, auf den die Leiter trifft. So bilden sich in uns die Mythen: Engel, die auf und ab steigen. Engel, die uns das Herz öffnen, es weit und warm machen, es vom Stein zum Heiligtum wandeln. Es bilden sich die Mythen, die uns bergen, die helfen und motivieren. Weihnachten ist ein Segen. „Gesegnete Weihnachten“ ist ein Wunsch für das ganze Jahr.

AMEN

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen