Kain und Abel - Ein Brudermord am Anfang der Kultur
Genesis 4
Liebe Gemeinde,
nach dem biblischen Mythos wurde zunächst ein Mensch erschaffen: Adam, der Mensch.
Dann spürte dieser eine Mensch bald, dass ihm ein gleichwertiges und gleichgewichtiges Gegenüber fehlte. Er hatte wohl Tiere. Die konnte er benennen und beherrschen. Aber es fehlte ihm das Gegenüber auf gleicher Augenhöhe. Es fehlte ihm gewissermaßen das Spiegelbild, in dem er sich selbst begegnen konnte und in dem er sich auch selbst erkennen konnte. Diesen Mangel empfand der Mensch – und Gott fand das auch.
Deshalb teilte Gott den einen Menschen im Schlaf in zwei Teile, in Mann und Frau. Er setzte so dem „isch“, dem Mann, den es durch die Teilung jetzt erst gab, die „ischah“, die Frau oder die Männin gegenüber. Den alten Adam gab es jetzt nicht mehr. Er war ein anderer geworden. Er war durch Eva zum Mann geworden, wie die Eva durch ihn zur Frau wurde. Dem Mann eine Gehilfin und der Frau einen Gehilfen. So sollte es im Idealfall sein. So war es gedacht.
Es ist aber nicht immer so. Der Mann oder die Frau ist dem anderen bei weitem nicht immer Gehilfe. Es kann so weit gehen, dass der eine dem anderen ein Mörder wird. Brudermörder, Schwestermörder, Gattenmörder. Das ist auch eine menschliche Erfahrung und sie wird früh in der menschlichen Geschichte gemacht. Fast ganz am Anfang schon. Es könnte ein solcher krimineller Akt die Grundlage der Kultur sein. Kultur ist die Entgegnung zu einem solchen Verbrechen.
Kain und Abel, die Söhne von Adam und Eva, sind dieses Täter – Opfer – Paar des Anfangs.
Der eine ist ein Ackerbauer. Es ist Kain. Er arbeitet hart, kämpft mit der Erde. Er schuftet im Schweiße seines Angesichts, ganz wie es das Fluchwort aus dem verschlossenen Paradies sagt. Kain ist der Ältere, der Erstgeborene. Eva bejubelt diesen Sohn nach der Geburt. Kain besitzt bereits eine gewisse Kultur. Ackerbau ist Kultur – und vom Namen „Kain“ her ist er auch wohl eine Art Schmied, ein Techniker. Später wird er sogar eine Stadt gründen. Aber soweit ist es noch nicht.
Der andere Sohn, Abel, ist Hirte. Er wird als 2. Sohn in gewisser Weise mal eben so in die Familie hineingeboren. Eva verliert kein Wort über ihn, als wäre er nicht der Rede wert. Sein Name bedeutet soviel wie „Hauch“, man könnte auch sagen „kleiner Furz“.
Abel hat es irgendwie leichter im Leben als Kain. Er liegt auf der Wiese bei seinen Schafen, bläst Flöte, guckt in den Himmel und lässt die Hunde für sich arbeiten. Es gelingt ihm auch irgendwie alles. Das nämlich bedeutet die Aussage der Bibel: „der Herr schaute gnädig auf sein Opfer“. Es gelingt ihm alles. Trotz der unbedeutenden Anfänge – oder gerade wegen ihnen – ist er ein Sonnenkind.
Kain hat es schwerer. Manchmal gelingt ihm rein gar nichts. Es geht nichts mehr. Selbst Gott scheint an ihm und seinem Opfer vorbei zu schauen. Das ist bitter.
Warum beide so ungleich sind, oder warum ihnen so Ungleiches widerfährt, wird nicht erzählt. Es ist einfach so. Aber die Frage, warum oder mit welchem Recht das so ist, ist auch nicht so wichtig. Wichtiger ist, was daraus wird.
Kain wird bitter. Er kann seinen Bruder noch nicht einmal mehr in die Augen schauen. Er kann sogar noch nicht einmal mehr geradeaus in die Welt schauen. Er sieht niemandem mehr ins Gesicht. Er starrt nur noch nach innen. Da brodelt es: Eifersucht, Neid, Hass, Wut… es dampft und zischt wie in einer Hexenküche. Die Bibel schiebt an dieser Stelle einen fast unverständlichen, verstümmelten Satz ein, als begänne Gott selbst gegenüber dem verfinsterten Kain zu stottern. Vermutlich ist es so etwas wie eine Warnung, die da aus Gottes Mund kommt: Pass auf! Die Sünde lauert vor der Tür!
Aber Kain passt nicht auf. Er lässt seine Wut laufen. Aus Todeshass wird ein Mordplan. Wo keiner etwas sieht, auf dem Acker, auf dem Terrain des Kain, das er genau kennt, erschlägt er den „Furz“ – und dessen Leben ist vorüber wie ein Hauch. Abel, der Bruder, ist tot.
Vielleicht fällt uns bei diesem Brüderpaar das andere namenlose Brüderpaar aus dem Lukasevangelium ein. Da bekommt auch ein Jüngerer vom Vater anscheinend alles geschenkt, und der Ältere schuftet auf dem Feld. Der verbittert auch, aber ermordet hat er seinen Bruder nicht. Noch nicht! Der Vater ging hinaus und redete mit ihm. Wie es ausgeht, wissen wir nicht.
Bei Kain und Abel redet Gott, der Vater, auch noch einmal mit dem Älteren, aber da ist es schon zu spät. Deshalb sind die Sätze Gottes jetzt auch wie Keulenschläge: Wo ist dein Bruder? Wo?
Soll ich etwa des Hirten Hüter sein, antwortet Kain keck. Bin ich für ihn verantwortlich? Soll ich immer noch auf den Kleinen aufpassen?
Wir wissen, dass das infame, lügnerische Fragen sind, hinter denen Kain sich ja nur verbirgt. Er hat ja wirklich nicht aufgepasst. Nicht auf den Bruder und noch nicht einmal auf sich selbst.
„Sein Blut schreit zum Himmel“. Das ist der nächste Keulenschlag Gottes.
Gott übersieht nichts. Er lässt sich nicht täuschen. Man kann ihm nichts verbergen und es bleibt nichts verborgen.
Kain steckt in seiner Schuld fest. Nach der Weltordnung muss das Blut gerächt werden. Kain wird in Zukunft ein Getriebener sein. Er irrt umher. Einen Bruder hat er nicht mehr. Wer seinen Bruder tötet, der hat eben auch keinen Bruder mehr. Er muss ohne einen solchen auskommen. Die Erde ist durch das Blut entweiht. Sie wird ihre Frucht verweigern.
Damit kann ich nicht leben! schreit Kain. So nicht! Jeder hat ein Recht mich zu töten und in der Fremde kann ich alleine nicht überleben.
Doch! sagt Gott. Du wirst so leben müssen! Du bist gezeichnet, gebrandmarkt. Die Schuld bleibt. Du musst als Schuldiger leben. Aber dieselbe Zeichnung, die dich mahnt und aussondert, schützt dich auch. Keiner soll dich töten dürfen! Blutrache ist keine Lösung. Todesstrafe soll nicht sein! Das ist eine neue Weltordnung: Wer dich tötet, der soll unter einem siebenfachen Fluch stehen.
Kain lebte dann gezeichnet bis an sein Ende. Er war verändert durch seine Tat und die Folgen. Er bekam Kinder, denen er eine Stadt gründete, die er nach seinem Sohn Henoch benannte. Der gezeichnete, schuldige Mensch wurde der Urvater der Kultur. Als hätte seine Untat diese erst möglich gemacht. Denn worin bestand diese Kultur? Nicht nur in der Stadtgründung, sondern darin, dass er lernte, hinfort auf sich selbst, auf seine Seele aufzupassen. Die Sünde lauerte ja immer noch vor der Tür.
Wir wissen jetzt auch, was die eigentliche Ursünde ist: Eifersüchtig sein, neidisch sein, begehren – und das geradezu so tief in sich verbergen, es geradezu nicht erkennen und benennen wollen, bis das Herz wirklich zur Mördergrube geworden ist. Es ist keine Sünde, dass solche Gedanken in uns sind. Sie sind unwillkürlich da. Aber dass man sie auswachsen lässt, was man aus ihnen macht - das ist Sünde.
Die Menschen sind verschieden. Das ist so! sagt die Bibel. Pass also auf, dass du deshalb nicht zum Mörder wirst – und Mörderschaft gibt es auch ohne Blutvergießen. Pass auf die Regungen deines Herzens auf! Kannst du noch offen und klar in die Welt schauen oder beginnst du schon den Blick zu senken. Dann wird es gefährlich. Pass auf!
Was hat das mit uns zu tun? Sitzen etwa Mörder unter uns? Wohl kaum. Aber potentiell sind wir alle gemeint. Die mörderhaften Regungen: Neid, Eifersucht, Missgunst, Gier und Begierde, kennen wir alle. Was das bedeutet und worauf wir zu achten haben, möchte ich an einer Geschichte verdeutlichen.
Die deutsch-tschechische Jüdin Ilse Weber hat in den 30iger und 40iger Jahre Gedichte, Lieder und Briefe verfasst, die vor kurzem veröffentlicht wurden. Von Beruf war Ilse Weber Kinderkrankenschwester. Sie hatte zwei Söhne, von denen sie den Älteren im Alter von 8 Jahren zu einer Freundin nach England in die Sicherheit schicken konnte. Er wurde gerettet. Die übrige Familie wurde in Theresienstadt und Auschwitz ermordet. In den Briefen an die Freundin und an ihren Sohn in England schildert Ilse Weber ganz schlicht und einfach, aber unglaublich beeindruckend und berührend, was und wie sie als Mutter und Jüdin im Naziherrschaftsbereich erlebt und empfindet – und was sie schließlich nicht mehr empfindet, weil es in ihr schon abgetötet worden ist. Ich frage mich, wie damals die Menschen, die dieses Leid verursachten oder mitansahen oder eben wegsahen, nicht empfinden konnten, was wir heute empfinden, wenn wir die Texte hören? Wie kann man so abstumpfen, dass man nicht mehr empfindlich ist für das Leid, das man selbst verursacht oder auch nur in Reichweite geschehen lässt?! Wo ist dein Bruder oder deine Schwester? Die Antwort ist immer noch: Ist mir doch egal!
Was ist die innere Glut, die uns heute die Geschichte von Kain und Abel vermittelt? Es ist nichts als der schlichte Rat: Pass auf deine Seele auf! Die Sünde lauert vor der Tür – zumal wenn du beginnst, neidisch zu werden. Und neidisch wirst du oder bist du, denn immer wird es einen geben, der es vermeintlich leichter hat als du, und den du zu einem Sündenbock machen kannst für alles, was in deinem Leben nicht rund läuft. Vor 60 oder 7o Jahren waren das die Juden, heute sind es andere, die zu Aussenseitern gemacht werden.
Wenn du Neid und Gier-Gedanken in dir spürst, dann senke den Blick nicht verstohlen nach unten, um den Gedanken noch mehr Raum in dir zu geben. Guck vielmehr hoch – und spuck es aus. Sprich die Gedanken aus – und sie werden wie Eis an der Sonne schmelzen.
So hältst du dein Herz rein und es wird nicht zur Mördergrube, auch wenn das Böse von Zeit zu Zeit hindurchzieht. Auf das reine Herz kommt es an. Das ist Kultur.
AMEN
Sonntag, 26. April 2009
Montag, 20. April 2009
Paradis und Fall
Das Paradies - und der Fall aus dem Garten Genesis 2 u.3
Liebe Gemeinde,
einmal erschien zu Pfingsten ein Spiegel mit dem Titelthema „Das Paradies“.
Demnach behaupten einige Forscher neuerdings, dass es in ältester Vorzeit im kurdischen Bereich des Irak eine Art paradiesischer Kultur gegeben haben müsse. Die Menschen hätten dort große Tempelanlagen gebaut und von geradezu unerschöpflichen wilden Tierbeständen gelebt. Dann sei durch einen Klimawandel und durch Erschöpfung der Tierbestände an die Stelle des Paradieses eine Ackerbaukultur getreten, die von mühsamer Arbeit geprägt gewesen sei. Spuren dieser Zustände und Ereignisse hätten sich im biblischen Bericht vom „Garten Eden“ erhalten.
Das Paradies war also demnach eine Art Schlaraffenland, in dem den Menschen der gebratene Ochsen in den Mund fiel.
Wenn Familien bei IKEA einkaufen gehen, können sie die Kinder im „Kinderparadies“ abgeben, um sorglos und störungsfrei aussuchen und einkaufen zu können.
Das Paradies ist also dort eine Art Spielgarten.
Vor kurzem bekam ich einen Stereo-Viewer geschenkt. Durch eine besondere Folie kann man dreidimensional in eine paradiesische Karibikkulisse hineinschauen: türkisfarbenes Meer, weißer Sand, Palmen und zwei Liegestühle, die aufs Meer und in den blauen Himmel schauen lassen.
So malt uns eine Tourismusindustrie das Urlaubsparadies.
Daneben gibt es auch noch das Steuerparadies, das keine Abgaben oder sonstige unangenehmen Verpflichtungen kennt. Ein Paradies, das neuerdings ins Gerede gekommen ist.
Von welchem Paradies spricht eigentlich die Bibel? Und was sagt uns die biblische Vorstellung vom Paradies über den Menschen?
Alle Fragen, die mit dem Paradies zusammenhängen, gehören zu den Urfragen der Menschheit.
Menschheit!
Adam und Eva sind nicht historische Einzelpersonen, sondern sie sind die Menschen schlechthin. Was diese beiden erleben, erleben alle zu jeder Zeit. Also auch ein jeder von uns.
Die Bibel erzählt nun, dass Gott den Menschen einen Garten gegeben habe. Dieses Wort „Garten“ würde in der griechischen Übersetzung der Bibel mit dem altiranischen Wort „Paradies“ wiedergegeben.
Der Paradiesgarten bestand aus einem umzäunten Raum. Es war ein beschützter und beschützender Bereich. Das Wort „Gart“ ist mit den Wörtern Gürtel und Gurt verwand. Garten ist also ein zusammenhaltender, behütender Raum. So etwas wie ein Gürtel Gottes, oder auch eine hohle Hand Gottes.
„Gart“ taucht auch in vielen Frauennamen auf, wie Irmgard, Hildegard oder Friedgart etc.
Vielleicht können wir deshalb auch sagen, dass es in diesem Garten wie in weiblich-mütterlicher Obhut war. Alles stand in Übereinstimmung. Es war ein Raum, der Heimat und Geborgenheit vermittelte – und das nicht nur äußerlich, sondern auch bewusstseinsmäßig, innerlich.
Dieser Garten war die ganze Welt, soweit der Horizont reichte.
Er hatte eine Mitte, von der aus vier Flüsse wie Weltachsen in die vier Himmelsrichtungen ausströmten.
In der Mitte aber stand ein Baum.
Dieses dargelegte Bild ist eine mythisch-kultische Konstruktion, die ganz wesentlich für die Menschen ist. Es ist von einer mythischen Kartographie, die zugleich eine seelische Kartographie des Menschen abbildet.
Wenn die alten Völker, z.B. die Etrusker, eine Stadt gründeten, suchten sie zuerst eine Mitte. Dort in der Mitte dachte man sich die vertikale Weltachse, die Himmel und Erde und sogar auch noch die Unterwelt miteinander verband. Dort war die Erde wie an einer Nabelschnur mit dem Himmel verbunden. In dieser Mitte stand der Weltenbaum oder Lebensbaum, der im Stamm Himmel und Erde zusammenhielt und in dessen Krone sich der Himmel verfing.
Von dieser Mitte gingen die vier horizontalen Weltachsen aus, die die Stadttore und die vier Himmelsrichtungen bestimmten.
Die Mitte war unverfügbar. Sie war die Voraussetzung für jedes Leben. Von ihr aus lebte der Mensch. Diese Bindung gab seinem Lebensraum erst Bestand. So ermöglichte sie das Leben. Die Mitte war ein mythischer, symbolischer Ort.
Ein solches Denken bestimmt auch den biblischen Text vom Garten Eden. Wir verstehen jetzt, warum Adam und Eva alle anderen Bäume und Früchte im Garten berühren und essen durften, aber diesen einen in der Mitte, der zwei Namen trägt – Baum des Lebens und Baum der Erkenntnis – nicht. An diesem Baum war Tod und Leben geknüpft. Dieses Unverfügbare sollten sie nicht in die Hand nehmen. Das sollten sie sich nicht einverleiben, weil es eben draußen, als Vorgängiges, als Voraussetzung des Lebens bestehen bleiben musste. Es war das Gesetz des Lebens, das zu respektieren war, wenn man mit Gott und der Welt in Übereinstimmung leben wollte.
Dieses „ auf eine Mitte ausgerichtet sein“ ist also etwas schöpfungsgemäßes. Es bedeutet, dass es eine heilige, unverfügbare Mitte geben muss, die wir ein Leben lang suchen. Wir möchten den Kern von allem finden und das, was alles zusammenhält.
Selbst die Galaxien rotieren noch um ein schwarzes Loch in der Mitte. Auch diese Mitte ist unverfügbar, unberührbar. Jeder Zugriff würde in ihr verbrennen, er wird verschluckt.
Nicht wir nehmen die Mitte in unsere Hand, sondern sie uns. Unter ihren Bedingungen haben wir zu leben. Wir haben der Mitte nichts vorzuschreiben.
Die Mitte, der Kern alles dessen, was ist, ist gewissermaßen auch das Tor zum Jenseitigen, zur Transzendenz. Diese vorausgesetzte Mitte finden wir tatsächlich in allem. Nicht nur im Großen, im Kosmos oder im Sonnensystem, sondern auch im Kleinsten, im Feinsten, in dem, was gar nicht mehr stofflich ist. Wir finden sie gerade in der Psyche, in der Seele.
Jeder Mensch besitzt eine unverfügbare Mitte, ein Herz, auf das hin er gespannt ist, und in dem ihm Gott näher ist, als er sich selbst je sein könnte.
Wehe, man verletzt die Mitte eines Menschen! Wenn man ihn ins Herz trifft, tötet man ihn, seelisch.
Auch jede Beziehung zwischen Menschen hat eine solche Mitte. Die Menschen sind als Beziehungswesen geschaffen. Es sind zumindest immer zwei: Adam und Eva. Die Mitte ist das Unverfügbare im anderen, die unverfügbar sich auch in der Beziehung abbildet, wenn diese eine wirkliche Beziehung und eine lebendige sein soll. Die Unverfügbarkeit macht die Beziehung reizvoll.
Alles Verfügbarmachenwollen ist nur Bemächtigung und zerstört letztendlich.
Wir verstehen jetzt, warum Gott verboten hat, die Mitte des Gartens anzutasten. Es ist kein autoritäres Verbot, das dem Menschen das Schönste vorenthalten will. Gott will sich keine überlegene Macht sichern oder den Menschen abhängig und unmündig halten. Solche Kategorien von Über- u. Unterlegenheit sind noch gar nicht denkbar.
Es ist die Struktur der Wirklichkeit, der Schöpfung, die hier geschützt wird. Unsere eigene Voraussetzung sollen wir nicht in die Hand nehmen, wir sollen sie– mental und haptisch - nicht begreifen oder uns gar selbst einverleiben wollen. Sie bleibt uns vorausgesetzt Wir zerstören uns selber, wenn wir das Unverfügbare zerstören, indem wir es einholen wollen. Leben oder Tod – es hängt davon ab, ob das Unverfügbare als solches geachtet bleibt.
Die Menschen haben nun aber doch an die Mitte gerührt. Und sie tun es noch und immer wieder. Der Mensch ist haptisch. Es reizt uns, alles in die Hand nehmen zu wollen: auch Gott, auch das Nichts oder die Leere, die jedem Sein eingezeichnet ist und es oft erst mit Sinn erfüllt - wie das Loch, oder den Topf, wie die Tür oder das Rad -, auch die schwarzen Löcher des Kosmos, die diesen erst konstituieren, auch das Verborgene und Geheimnisvolle in der Seele, auch das Leben und den Tod, auch die Quelle des Lebens, die Weltachse, den Lebensbaum, die Nabelschnur. Wir wollen alles wissen, das ganze Wissen haben, Gut und Böse – was additiv nur ein anderer Ausdruck für „alles“ ist. Wenn wir Gut und Böse wirklich unterscheiden und scheiden und das Böse als Böses etikettieren, sind wir in einem rein quantitativen Sinn tatsächlich weiser geworden als wenn wir alles nur als „gut“ begreifen, wie es das Schöpfungsurteil Gottes vorgesehen hatte. Was das allerdings bedeutet, in diesem Sinne weise zu sein, zeigt uns die Bibel an einem drastischen Beispiel:
Die Menschen waren nackt, bevor sie die Mitte berührten – und es war gut so. Jedenfalls hören wir es nicht anders. Nachdem sie allerdings die Mitte berührt hatten, war das Gleiche nicht mehr „nur“ gut. Es war auch böse. Es war ambivalent geworden. Und sie schämten sich – ein bislang unbekanntes Gefühl. Und sie versteckten sich – ein bislang unbekannter Ort. Sie „wussten“ das alles. Sie kannten jetzt „das Ganze“. Sie wussten jetzt mehr als vorher,- aber war das Wissen noch gut? Tat es ihnen gut? Die Erfahrung dieses neu erworbenen Wissens ist immer bitter, sie ist selber böse.
Die Bibel redet von diesem grenzüberschreitenden Tun übrigens nicht als Sünde. Es ist Ungehorsam gegenüber Gott und zugleich Ungehorsam gegenüber sich selbst, gegenüber dem Charakter des Menschen, der sich selbst begrenzen sollte, wie sich Gott in seiner Schöpfung selbst begrenzt hat. Es ist keine Sünde im moralischen Sinn, es ist die Grundabständigkeit von Gott, anders eben als Gott selbst ist. Auch ist die Sünde nicht durch dieses Tun gewissermaßen magisch auf alle Folgenden vererbt worden. Wohl aber wird diese Grundabständigkeit von allen Folgenden ebenfalls vollzogen. Ein jeder, eine jede versucht die empfindliche und fragile Mitte zu berühren. Der mythische Text der Bibel will aber die Existenz des Menschen erhellen helfen und die sich daraus ergebenden Fragen der Menschen beantworten: Warum ist der Mensch und das menschliche Leben so tragisch und tödlich begrenzt? Warum folgt aus der versäumten Selbstbegrenzung eine Verfehlung des ganzen Lebens, warum entstehen Mühe und Leid und Tod? Warum ist der Garten verschlossen und warum findet sich nur ein verschlossenes Feld der Erde vor?
Die Antwort lautet: Weil der Mensch an die Mitte rührt. Weil er sie sich verfügbar machen will, statt sie verfügen zu lassen. Er weiß jetzt das Ganze und er will es wissen, aber er muss es jetzt auch tragen. Das Leben selbst ist ambivalent geworden. Auch unter dem Guten steckt das Böse. Eine zweite Ebene ist aufgetan, die Last und mühsame Aufgabe ist und bleibt.
Die Menschen haben an die Mitte gerührt und sie rühren weiter an sie auf verhängnisvolle Weise. Die Menschen machen sich Menschen in Beziehungen verfügbar, die diese Bezeichnung nicht verdienen. Sie ziehen Gott in ihre Verfügbarkeit, indem sie vor allem selbst an seine Stelle treten. Sie respektieren das Heilige nicht, lösen die Mitte in lauter Relativismen auf. Sie holzen den Baum des Lebens ab und plündern ihn. Sie unterscheiden nicht mehr nur Gut und Böse, sie erklären selbst, was gut und was böse ist.
Und immer noch verlieren sie deshalb das Paradies, wenn sie es auch noch so sehr suchen und ersehnen. Sie erschaffen sich deshalb aus Not und Orientierungslosigkeit Ersatzparadiese: Schlaraffenländer, in denen man alles umsonst bekommt wie im Kurdistan der Vorzeit. Im Garten Eden aber arbeitete der Mensch. Er lebte auch nicht von getöteten Tieren. Er bebaute und bewahrte, und vielleicht war ja gerade das das Paradies, dass man sinnvoll arbeiten konnte, weil man in der Arbeit die Schöpfung bewahrte, indem man ihre Mitte, ihre Voraussetzungen achtete.
Oder man errichtet Kinderparadiese wie bei Ikea, obwohl dort kein Kind lange bleiben will. Die Kinder spüren, dass sie um eines Kaufinteresses willen manipuliert werden sollen.
Und die Urlaubsparadiese? Meistens sehen die Menschen nach einem Aufenthalt dort gar nicht so aus als seien sie im Paradies gewesen. Sie erscheinen eher gestresst oder gefoppt.
Die Steuerparadiese aber sind so wie so nur Tummelplätze für Raff und Gier, Geiz und Co.
Und selbst ein nur jenseitiger Himmel, das sog. Himmelreich, ist wohl nur ein Ersatzparadies für das, was auch hier, diesseitig, schon erfahrbar sein müsste.
Solange die Menschen ausgreifen zur Mitte, solange sie sich das Unverfügbare verfügbar machen wollen, anstatt sich von der Mitte ergreifen zu lassen und sich der Mitte selbst zur Verfügung zu stellen, solange verpassen sie das Paradies.
Dabei können wir allerdings letztlich die Mitte gar nicht erreichen. Es ist nur der Versuch, der bereits schadet, und es ist eine ungedeckte Einbildung, die die Menschen auf den falschen Weg treibt. Wir können die Mitte gar nicht wirklich erreichen, denn ein Cherub steht vor dem Tor- sagt der Mythos
Man könnte allerdings auch sagen, dass dann, wenn die Mitte respektiert ist, das Paradies schon begonnen hätte, sich zu verwirklichen. Das Paradies beginnt dann in uns, wenn die Seele bereit ist, respektvoll zu sein. Das ist freilich leichter gesagt als getan.
AMEN
Liebe Gemeinde,
einmal erschien zu Pfingsten ein Spiegel mit dem Titelthema „Das Paradies“.
Demnach behaupten einige Forscher neuerdings, dass es in ältester Vorzeit im kurdischen Bereich des Irak eine Art paradiesischer Kultur gegeben haben müsse. Die Menschen hätten dort große Tempelanlagen gebaut und von geradezu unerschöpflichen wilden Tierbeständen gelebt. Dann sei durch einen Klimawandel und durch Erschöpfung der Tierbestände an die Stelle des Paradieses eine Ackerbaukultur getreten, die von mühsamer Arbeit geprägt gewesen sei. Spuren dieser Zustände und Ereignisse hätten sich im biblischen Bericht vom „Garten Eden“ erhalten.
Das Paradies war also demnach eine Art Schlaraffenland, in dem den Menschen der gebratene Ochsen in den Mund fiel.
Wenn Familien bei IKEA einkaufen gehen, können sie die Kinder im „Kinderparadies“ abgeben, um sorglos und störungsfrei aussuchen und einkaufen zu können.
Das Paradies ist also dort eine Art Spielgarten.
Vor kurzem bekam ich einen Stereo-Viewer geschenkt. Durch eine besondere Folie kann man dreidimensional in eine paradiesische Karibikkulisse hineinschauen: türkisfarbenes Meer, weißer Sand, Palmen und zwei Liegestühle, die aufs Meer und in den blauen Himmel schauen lassen.
So malt uns eine Tourismusindustrie das Urlaubsparadies.
Daneben gibt es auch noch das Steuerparadies, das keine Abgaben oder sonstige unangenehmen Verpflichtungen kennt. Ein Paradies, das neuerdings ins Gerede gekommen ist.
Von welchem Paradies spricht eigentlich die Bibel? Und was sagt uns die biblische Vorstellung vom Paradies über den Menschen?
Alle Fragen, die mit dem Paradies zusammenhängen, gehören zu den Urfragen der Menschheit.
Menschheit!
Adam und Eva sind nicht historische Einzelpersonen, sondern sie sind die Menschen schlechthin. Was diese beiden erleben, erleben alle zu jeder Zeit. Also auch ein jeder von uns.
Die Bibel erzählt nun, dass Gott den Menschen einen Garten gegeben habe. Dieses Wort „Garten“ würde in der griechischen Übersetzung der Bibel mit dem altiranischen Wort „Paradies“ wiedergegeben.
Der Paradiesgarten bestand aus einem umzäunten Raum. Es war ein beschützter und beschützender Bereich. Das Wort „Gart“ ist mit den Wörtern Gürtel und Gurt verwand. Garten ist also ein zusammenhaltender, behütender Raum. So etwas wie ein Gürtel Gottes, oder auch eine hohle Hand Gottes.
„Gart“ taucht auch in vielen Frauennamen auf, wie Irmgard, Hildegard oder Friedgart etc.
Vielleicht können wir deshalb auch sagen, dass es in diesem Garten wie in weiblich-mütterlicher Obhut war. Alles stand in Übereinstimmung. Es war ein Raum, der Heimat und Geborgenheit vermittelte – und das nicht nur äußerlich, sondern auch bewusstseinsmäßig, innerlich.
Dieser Garten war die ganze Welt, soweit der Horizont reichte.
Er hatte eine Mitte, von der aus vier Flüsse wie Weltachsen in die vier Himmelsrichtungen ausströmten.
In der Mitte aber stand ein Baum.
Dieses dargelegte Bild ist eine mythisch-kultische Konstruktion, die ganz wesentlich für die Menschen ist. Es ist von einer mythischen Kartographie, die zugleich eine seelische Kartographie des Menschen abbildet.
Wenn die alten Völker, z.B. die Etrusker, eine Stadt gründeten, suchten sie zuerst eine Mitte. Dort in der Mitte dachte man sich die vertikale Weltachse, die Himmel und Erde und sogar auch noch die Unterwelt miteinander verband. Dort war die Erde wie an einer Nabelschnur mit dem Himmel verbunden. In dieser Mitte stand der Weltenbaum oder Lebensbaum, der im Stamm Himmel und Erde zusammenhielt und in dessen Krone sich der Himmel verfing.
Von dieser Mitte gingen die vier horizontalen Weltachsen aus, die die Stadttore und die vier Himmelsrichtungen bestimmten.
Die Mitte war unverfügbar. Sie war die Voraussetzung für jedes Leben. Von ihr aus lebte der Mensch. Diese Bindung gab seinem Lebensraum erst Bestand. So ermöglichte sie das Leben. Die Mitte war ein mythischer, symbolischer Ort.
Ein solches Denken bestimmt auch den biblischen Text vom Garten Eden. Wir verstehen jetzt, warum Adam und Eva alle anderen Bäume und Früchte im Garten berühren und essen durften, aber diesen einen in der Mitte, der zwei Namen trägt – Baum des Lebens und Baum der Erkenntnis – nicht. An diesem Baum war Tod und Leben geknüpft. Dieses Unverfügbare sollten sie nicht in die Hand nehmen. Das sollten sie sich nicht einverleiben, weil es eben draußen, als Vorgängiges, als Voraussetzung des Lebens bestehen bleiben musste. Es war das Gesetz des Lebens, das zu respektieren war, wenn man mit Gott und der Welt in Übereinstimmung leben wollte.
Dieses „ auf eine Mitte ausgerichtet sein“ ist also etwas schöpfungsgemäßes. Es bedeutet, dass es eine heilige, unverfügbare Mitte geben muss, die wir ein Leben lang suchen. Wir möchten den Kern von allem finden und das, was alles zusammenhält.
Selbst die Galaxien rotieren noch um ein schwarzes Loch in der Mitte. Auch diese Mitte ist unverfügbar, unberührbar. Jeder Zugriff würde in ihr verbrennen, er wird verschluckt.
Nicht wir nehmen die Mitte in unsere Hand, sondern sie uns. Unter ihren Bedingungen haben wir zu leben. Wir haben der Mitte nichts vorzuschreiben.
Die Mitte, der Kern alles dessen, was ist, ist gewissermaßen auch das Tor zum Jenseitigen, zur Transzendenz. Diese vorausgesetzte Mitte finden wir tatsächlich in allem. Nicht nur im Großen, im Kosmos oder im Sonnensystem, sondern auch im Kleinsten, im Feinsten, in dem, was gar nicht mehr stofflich ist. Wir finden sie gerade in der Psyche, in der Seele.
Jeder Mensch besitzt eine unverfügbare Mitte, ein Herz, auf das hin er gespannt ist, und in dem ihm Gott näher ist, als er sich selbst je sein könnte.
Wehe, man verletzt die Mitte eines Menschen! Wenn man ihn ins Herz trifft, tötet man ihn, seelisch.
Auch jede Beziehung zwischen Menschen hat eine solche Mitte. Die Menschen sind als Beziehungswesen geschaffen. Es sind zumindest immer zwei: Adam und Eva. Die Mitte ist das Unverfügbare im anderen, die unverfügbar sich auch in der Beziehung abbildet, wenn diese eine wirkliche Beziehung und eine lebendige sein soll. Die Unverfügbarkeit macht die Beziehung reizvoll.
Alles Verfügbarmachenwollen ist nur Bemächtigung und zerstört letztendlich.
Wir verstehen jetzt, warum Gott verboten hat, die Mitte des Gartens anzutasten. Es ist kein autoritäres Verbot, das dem Menschen das Schönste vorenthalten will. Gott will sich keine überlegene Macht sichern oder den Menschen abhängig und unmündig halten. Solche Kategorien von Über- u. Unterlegenheit sind noch gar nicht denkbar.
Es ist die Struktur der Wirklichkeit, der Schöpfung, die hier geschützt wird. Unsere eigene Voraussetzung sollen wir nicht in die Hand nehmen, wir sollen sie– mental und haptisch - nicht begreifen oder uns gar selbst einverleiben wollen. Sie bleibt uns vorausgesetzt Wir zerstören uns selber, wenn wir das Unverfügbare zerstören, indem wir es einholen wollen. Leben oder Tod – es hängt davon ab, ob das Unverfügbare als solches geachtet bleibt.
Die Menschen haben nun aber doch an die Mitte gerührt. Und sie tun es noch und immer wieder. Der Mensch ist haptisch. Es reizt uns, alles in die Hand nehmen zu wollen: auch Gott, auch das Nichts oder die Leere, die jedem Sein eingezeichnet ist und es oft erst mit Sinn erfüllt - wie das Loch, oder den Topf, wie die Tür oder das Rad -, auch die schwarzen Löcher des Kosmos, die diesen erst konstituieren, auch das Verborgene und Geheimnisvolle in der Seele, auch das Leben und den Tod, auch die Quelle des Lebens, die Weltachse, den Lebensbaum, die Nabelschnur. Wir wollen alles wissen, das ganze Wissen haben, Gut und Böse – was additiv nur ein anderer Ausdruck für „alles“ ist. Wenn wir Gut und Böse wirklich unterscheiden und scheiden und das Böse als Böses etikettieren, sind wir in einem rein quantitativen Sinn tatsächlich weiser geworden als wenn wir alles nur als „gut“ begreifen, wie es das Schöpfungsurteil Gottes vorgesehen hatte. Was das allerdings bedeutet, in diesem Sinne weise zu sein, zeigt uns die Bibel an einem drastischen Beispiel:
Die Menschen waren nackt, bevor sie die Mitte berührten – und es war gut so. Jedenfalls hören wir es nicht anders. Nachdem sie allerdings die Mitte berührt hatten, war das Gleiche nicht mehr „nur“ gut. Es war auch böse. Es war ambivalent geworden. Und sie schämten sich – ein bislang unbekanntes Gefühl. Und sie versteckten sich – ein bislang unbekannter Ort. Sie „wussten“ das alles. Sie kannten jetzt „das Ganze“. Sie wussten jetzt mehr als vorher,- aber war das Wissen noch gut? Tat es ihnen gut? Die Erfahrung dieses neu erworbenen Wissens ist immer bitter, sie ist selber böse.
Die Bibel redet von diesem grenzüberschreitenden Tun übrigens nicht als Sünde. Es ist Ungehorsam gegenüber Gott und zugleich Ungehorsam gegenüber sich selbst, gegenüber dem Charakter des Menschen, der sich selbst begrenzen sollte, wie sich Gott in seiner Schöpfung selbst begrenzt hat. Es ist keine Sünde im moralischen Sinn, es ist die Grundabständigkeit von Gott, anders eben als Gott selbst ist. Auch ist die Sünde nicht durch dieses Tun gewissermaßen magisch auf alle Folgenden vererbt worden. Wohl aber wird diese Grundabständigkeit von allen Folgenden ebenfalls vollzogen. Ein jeder, eine jede versucht die empfindliche und fragile Mitte zu berühren. Der mythische Text der Bibel will aber die Existenz des Menschen erhellen helfen und die sich daraus ergebenden Fragen der Menschen beantworten: Warum ist der Mensch und das menschliche Leben so tragisch und tödlich begrenzt? Warum folgt aus der versäumten Selbstbegrenzung eine Verfehlung des ganzen Lebens, warum entstehen Mühe und Leid und Tod? Warum ist der Garten verschlossen und warum findet sich nur ein verschlossenes Feld der Erde vor?
Die Antwort lautet: Weil der Mensch an die Mitte rührt. Weil er sie sich verfügbar machen will, statt sie verfügen zu lassen. Er weiß jetzt das Ganze und er will es wissen, aber er muss es jetzt auch tragen. Das Leben selbst ist ambivalent geworden. Auch unter dem Guten steckt das Böse. Eine zweite Ebene ist aufgetan, die Last und mühsame Aufgabe ist und bleibt.
Die Menschen haben an die Mitte gerührt und sie rühren weiter an sie auf verhängnisvolle Weise. Die Menschen machen sich Menschen in Beziehungen verfügbar, die diese Bezeichnung nicht verdienen. Sie ziehen Gott in ihre Verfügbarkeit, indem sie vor allem selbst an seine Stelle treten. Sie respektieren das Heilige nicht, lösen die Mitte in lauter Relativismen auf. Sie holzen den Baum des Lebens ab und plündern ihn. Sie unterscheiden nicht mehr nur Gut und Böse, sie erklären selbst, was gut und was böse ist.
Und immer noch verlieren sie deshalb das Paradies, wenn sie es auch noch so sehr suchen und ersehnen. Sie erschaffen sich deshalb aus Not und Orientierungslosigkeit Ersatzparadiese: Schlaraffenländer, in denen man alles umsonst bekommt wie im Kurdistan der Vorzeit. Im Garten Eden aber arbeitete der Mensch. Er lebte auch nicht von getöteten Tieren. Er bebaute und bewahrte, und vielleicht war ja gerade das das Paradies, dass man sinnvoll arbeiten konnte, weil man in der Arbeit die Schöpfung bewahrte, indem man ihre Mitte, ihre Voraussetzungen achtete.
Oder man errichtet Kinderparadiese wie bei Ikea, obwohl dort kein Kind lange bleiben will. Die Kinder spüren, dass sie um eines Kaufinteresses willen manipuliert werden sollen.
Und die Urlaubsparadiese? Meistens sehen die Menschen nach einem Aufenthalt dort gar nicht so aus als seien sie im Paradies gewesen. Sie erscheinen eher gestresst oder gefoppt.
Die Steuerparadiese aber sind so wie so nur Tummelplätze für Raff und Gier, Geiz und Co.
Und selbst ein nur jenseitiger Himmel, das sog. Himmelreich, ist wohl nur ein Ersatzparadies für das, was auch hier, diesseitig, schon erfahrbar sein müsste.
Solange die Menschen ausgreifen zur Mitte, solange sie sich das Unverfügbare verfügbar machen wollen, anstatt sich von der Mitte ergreifen zu lassen und sich der Mitte selbst zur Verfügung zu stellen, solange verpassen sie das Paradies.
Dabei können wir allerdings letztlich die Mitte gar nicht erreichen. Es ist nur der Versuch, der bereits schadet, und es ist eine ungedeckte Einbildung, die die Menschen auf den falschen Weg treibt. Wir können die Mitte gar nicht wirklich erreichen, denn ein Cherub steht vor dem Tor- sagt der Mythos
Man könnte allerdings auch sagen, dass dann, wenn die Mitte respektiert ist, das Paradies schon begonnen hätte, sich zu verwirklichen. Das Paradies beginnt dann in uns, wenn die Seele bereit ist, respektvoll zu sein. Das ist freilich leichter gesagt als getan.
AMEN
Samstag, 11. April 2009
Ein neuer spiritueller Weg ... auf dem österlichen Weg nach Emmaus
Die Auferstehung ... in Emmaus Lukas 24
Eine andere Art eines "Osterspazierganges"
Liebe Gemeinde,
als vor einigen Jahren Papst Johannes Paul II. gewissermaßen in aller Öffentlichkeit starb, fand ich es verwunderlich, wie ungebrochen man von seinem Weiterleben nach dem Tode sprach. Es schien mir, als würde im Geschick des Papstes das ganze Drama von Leid, Tod, Auferweckung und Neuem Leben ansichtig gemacht. Es wurden immer nur wenige Worte gesprochen, aber sie saßen wie Hammerschläge. Die offizielle Todesnachricht lautete: „Heute Abend um 21.37 Uhr ist der Heilige Vater heimgekehrt ins Haus seines Vaters.“
Das erinnert fast an die Geschichte vom Verlorenen Sohn, der aus der Fremde und dem Elend heimkehrt zu seinem Vater.
In der Trauer-Predigt sagte Kardinal Ratzinger dann sinngemäß: „Vor 2 Wochen segnete der Hl. Vater ein letztes Mal urbi et orbi aus dem Fenster seines Palastes. Jetzt steht er am Fenster des himmlischen Palastes, im Hause seines himmlischen Vaters. Er sieht auf uns herab und segnet uns.“
Die Menschen, die das hörten, jubelten und klatschten. Dennoch ist das so gezeichnete Bild nicht ganz ungefährlich. Es sieht ja fast so aus, als stände Gott selber am Fenster und segnete.
Warum aber berührt und bewegt dieses Bild so viele Menschen?
Offensichtlich ist mit dem Tode dieses Papstes eine Epoche zu Ende gegangen. Jemand ist unwiederbringlich weggegangen. Die Zurückgebliebenen sind traurig und fragen sich, wie Nähe jetzt zu erfahren sein kann. Ist noch irgendetwas an Nähe überhaupt spürbar?
Der katholischen Kirche gelingt es, auch noch das Jenseitigste und das Heiligste zu symbolisieren und zu „materialisieren“. Es wird greifbar und fassbar und fühlbar. Das Jenseitige, Transzendente wird in die Welt geholt. Man kann es spüren und selbst Wind, Sonne und Schatten spielen in der Regie der päpstlichen Trauerfeier wie ein jenseitiges Eingreifen mit.
Die Gefahr besteht in solchen Fällen immer, dass man Irdisches vergötzt. Aber es liegt auch eine Chance in solcher Ungebrochenheit und Direktheit. Wir können spüren, was wir alle spüren wollen. Die Verbindung, der Kontakt zu GOTT, als der Kraftquell des Lebens, ist erfahrbar. Deshalb folgen Hunderttausende einem Papst. Hoffentlich werden sie nicht irre geleitet. Hoffentlich bleiben sie auf dem rechten Weg.
Die Frage, wie uns das Ferne und Jenseitige nahe kommen kann, wie wir es spüren können, wie es zur Kraft in unserem Leben wird, begegnet uns auch in dem österlichen Text der Geschichte aus Emmaus. Als diese Geschichte ins Lukasevangelium geschrieben wurde, war Jesus sicher schon 60 Jahre tot. Es war also die 2. u.3. Generation nach ihm, die sich fragte, wie man ihm jetzt nahe sein könnte. Die Menschen, die Jesus noch leiblich gekannt hatten, waren längst selbst tot. Jetzt aber fasste man die Lehre aus dem einstigen Geschehen in einer Geschichte zusammen. Es geht in ihr nicht darum, bloße Fakten zu berichten. Vielmehr wird eine Erlebensmöglichkeit aufgezeigt. So könnte es jetzt, heute, hier sein!
Wir sehen zwei Jünger wandernd auf einem Weg. Es sind zwei Menschen, zwei – keine Massen, aber auch kein Einzelgänger. Christentum vermittelt sich nur in der Gemeinschaft, im Gespräch miteinander. Das ist eine erste Beobachtung.
Dann ist diese Gemeinschaft auf dem Weg. Leben ist Gehen. Der gezeichnete Weg führt nicht nur von A nach B. Es ist der Lebensweg, wie wir alle ihn gehen. Was auf dem Weg geschieht, geschieht in den Grenzen von Raum und Zeit. Alles auf dem Lebensweg ist begrenzt durch den Tod und durch das Leid, das auf den Tod zuführt.
Mit solchen Gedanken werden die beiden Männer in Gesprächen beschäftigt sein. Und sie sind traurig. Sie reiben sich an der Grenze.
Nun aber tritt ein Unbekannter zu ihnen als wenn eine andere Dimension an sie heranträte. Der Unbekannte erklärt, dass dieses Leiden und der Tod Sinn machen. Es ist gar keine Grenze, vielmehr so etwas wie ein Durchgang. In sich scheint es sinnlos, aber es dient dem größeren Sinn des Lebens. Ins Leben will es verwandeln, dorthinein will es führen.
Jesus musste leiden. GOTT aber hat ihn auferweckt – heißt es im Text.
Ein Unbekannter oder ein Unerkannter zeigt unserem Leben, dem begrenzten, also erst einen wirklichen Sinn. Was wir hier konkret leben und erleben, erscheint plötzlich in einer neuen Dimension. Aber das merken wir nur, wenn wir tatsächlich auf dem Weg sind, wenn wir gehen, wenn wir lebendig unseren Lebensweg gehen. Man kann es nicht theoretisch erfassen. Man muss es erfahren, besser ergehen.
Was wir erfahren, ahnen wir mehr, als dass wir es wissen. Wir ahnen, dass unser Leben einmal vollendet sein soll. Wir ahnen, dass alles, was hier auf der Erde nur Sehnsucht war, nur Teil oder Fragment, einmal ganz sein soll. So geschieht es zunächst einmal, aber im Nachhinein – als sie schon wissen, dass es so ist – sagen die Männer: Brannte nicht unser Herz auf dem Weg? Haben wir es nicht geahnt, besser: intuitiv gewusst?
Das ist die Glut im Herzen! Ein Unbekannter, ein anderer Mensch und vielleicht manchmal auch ein Unbekanntes, ein Neues, ein Zentralerlebnis kann uns diese Glut erschließen. Wo 2 oder 3 in meinem Namen versammelt sind, da ist Jesus unter ihnen. Dann wird die Glut zum Feuer und die neue Sicht- u. Lebensweise tut sich auf. Zum Alltäglichen tritt die zugehörige spirituelle Dimension.
Nun gibt es aber nicht nur das Unterwegssein im Leben mit spiritueller Qualität. Am Wegesrand stehen auch Einkehrhäuser. Neben dem Alltag des Lebensweges - wie wir ihn alle Tage leben – gibt es auch das Haus des Sonntags. Besonders wenn es Abend wird, wenn es dunkel auf dem Lebensweg ist, können und wollen wir einkehren.
Auch die beiden Jünger tun das, und sie laden den Unerkannten ein, bei ihnen zu bleiben. Dann geschieht noch einmal genau das gleiche wie auf dem Weg. Wieder soll Bekanntes und Gewöhnliches einen anderen, tieferen Sinn bekommen. Man isst zu Abend. Das ist das Gewöhnliche und Bekannte. Als der Fremde nun aber das Brot bricht und es teilt, begreifen sie: hier ist mehr als nur ein Abendessen. Hier ist zugleich Gemeinschaft in dichtester Form, hier ist Einheit und Verbindung. Himmel und Erde verbinden sich. Alle und alles wird eins. Das Brot verweist.
Das ist der Herr – sagen sie.
Dazu also ist das Haus am Wege da. Man kann in ihm rituell und symbolisch, verdichtet feiern und erfahren, was einem auch im Leben begegnet. Alles bekommt einen anderen, einen tieferen Sinn. Der Ritus, das Symbol verweisen auf eine ganze Wirklichkeit.
Das Eigentliche und Entscheidende aber kommt erst jetzt. Nachdem der Fremde es ihnen auf dem Weg erklärt hat und nachdem sie es gemeinsam am Tisch erlebt haben, nachdem ihnen die Lehre erschlossen worden ist und die rituelle Feier des Erlebten vollzogen ist, ist der unerkannte Herr verschwunden. Vielleicht würden sie ihn ja gerade jetzt gerne festhalten. Sie würden ihn gerne verehren, immer noch mehr hören wollen und seine Worte und Handlungen tiefen. Aber als Gegenüber oder als ein Objekt ist der Herr nicht mehr nötig. Er ist vielmehr Subjekt in den Jüngern selbst geworden, ganz wie in Maria Magdalena am 1. Ostermorgen. Der Herr ist jetzt in ihnen, in ihrem Denken und Verstehen, in ihrem ganzen Erleben. Er ist einer von ihnen und sie sind ER.
Jesus festhalten zu wollen, ist gefährlich. Es macht abhängig, wie ein kleines Kind abhängig ist. Wer an etwas oder an jemandem klebt, wird nicht erwachsen.
Die Buddhisten sagen: „Triffst du Buddha unterwegs – d.h. triffst du den Lehrer, den Guru – dann töte ihn“. Damit vermeiden sie, abhängig zu bleiben. Sie tragen die Buddhaschaft wie jeder Mensch selber in sich.
Auch in unserer Geschichte verschwindet am Ende der Lehrer und Meister. Jetzt gilt es, selber ein Stück auf dem Weg voranzukommen. Die Männer wissen, dass Jesus lebt. Er ist auferstanden, wie sie das in ihrem Leben, in ihrer eigenen Auferstehung des neuen Verstehens der alten Tradition über Leid, Tod und Leben selbst erfahren haben. Sie können zu den anderen als Zeugen des Auferstandenen und der Auferstehung zurückkehren.
Auch wir sind Emmaus-Jünger. Auch wir suchen die Nähe zu Gott und zu Jesus. Zunächst suchen wir sie in der Begegnung mit dem, was uns von außen entgegenkommt. Das ganze Leben ist unser Material. Wir müssen es durchleben, bis es uns umgestaltet und zu veränderten Menschen macht. Jesus geht als Unerkannter an unserer Seite ein gehörig Stück mit.
Ebenfalls feiern wir das Mahl mit rein äußerlichem Brot und Wein, bis es in uns selbst zu neuem Brot und Wein wird. Bis wir selbst Nahrung und Freude, Nahrung und Feuer geworden sind.
Was nur äußerlich bleibt, gefährdet uns, weil es uns klein und abhängig macht. Wir werden uns schließlich selbst fremd und kommen nicht zu unseren erwachsenen Möglichkeiten. Es ist gefährlich ein Leben lang hinter heiligen Vätern wie hinter einem Guru herzulaufen. Wir sollen selbst väterlich und mütterlich werden. Wir haben nicht die Buddhaschaft, aber Christus in uns.
Die Emmaus-Geschichte zeigt uns ein spirituelles Programm: die Schriften und d.h. auch das alltägliche Leben verstehen und ihm den Sinn geben, das Mahl feiern als Verweis auf die ganze Wirklichkeit, selber Christus werden. Das sind die drei Schritte auf dem spirituellen Weg nach Emmaus
.
Das ist zugleich die elementarste Osterbotschaft: Christus ist auferstanden. Wir laufen hinter ihm her, weil wir selbst auferstanden leben. Christus ist nicht nur unter uns. Er ist in uns.
AMEN
Eine andere Art eines "Osterspazierganges"
Liebe Gemeinde,
als vor einigen Jahren Papst Johannes Paul II. gewissermaßen in aller Öffentlichkeit starb, fand ich es verwunderlich, wie ungebrochen man von seinem Weiterleben nach dem Tode sprach. Es schien mir, als würde im Geschick des Papstes das ganze Drama von Leid, Tod, Auferweckung und Neuem Leben ansichtig gemacht. Es wurden immer nur wenige Worte gesprochen, aber sie saßen wie Hammerschläge. Die offizielle Todesnachricht lautete: „Heute Abend um 21.37 Uhr ist der Heilige Vater heimgekehrt ins Haus seines Vaters.“
Das erinnert fast an die Geschichte vom Verlorenen Sohn, der aus der Fremde und dem Elend heimkehrt zu seinem Vater.
In der Trauer-Predigt sagte Kardinal Ratzinger dann sinngemäß: „Vor 2 Wochen segnete der Hl. Vater ein letztes Mal urbi et orbi aus dem Fenster seines Palastes. Jetzt steht er am Fenster des himmlischen Palastes, im Hause seines himmlischen Vaters. Er sieht auf uns herab und segnet uns.“
Die Menschen, die das hörten, jubelten und klatschten. Dennoch ist das so gezeichnete Bild nicht ganz ungefährlich. Es sieht ja fast so aus, als stände Gott selber am Fenster und segnete.
Warum aber berührt und bewegt dieses Bild so viele Menschen?
Offensichtlich ist mit dem Tode dieses Papstes eine Epoche zu Ende gegangen. Jemand ist unwiederbringlich weggegangen. Die Zurückgebliebenen sind traurig und fragen sich, wie Nähe jetzt zu erfahren sein kann. Ist noch irgendetwas an Nähe überhaupt spürbar?
Der katholischen Kirche gelingt es, auch noch das Jenseitigste und das Heiligste zu symbolisieren und zu „materialisieren“. Es wird greifbar und fassbar und fühlbar. Das Jenseitige, Transzendente wird in die Welt geholt. Man kann es spüren und selbst Wind, Sonne und Schatten spielen in der Regie der päpstlichen Trauerfeier wie ein jenseitiges Eingreifen mit.
Die Gefahr besteht in solchen Fällen immer, dass man Irdisches vergötzt. Aber es liegt auch eine Chance in solcher Ungebrochenheit und Direktheit. Wir können spüren, was wir alle spüren wollen. Die Verbindung, der Kontakt zu GOTT, als der Kraftquell des Lebens, ist erfahrbar. Deshalb folgen Hunderttausende einem Papst. Hoffentlich werden sie nicht irre geleitet. Hoffentlich bleiben sie auf dem rechten Weg.
Die Frage, wie uns das Ferne und Jenseitige nahe kommen kann, wie wir es spüren können, wie es zur Kraft in unserem Leben wird, begegnet uns auch in dem österlichen Text der Geschichte aus Emmaus. Als diese Geschichte ins Lukasevangelium geschrieben wurde, war Jesus sicher schon 60 Jahre tot. Es war also die 2. u.3. Generation nach ihm, die sich fragte, wie man ihm jetzt nahe sein könnte. Die Menschen, die Jesus noch leiblich gekannt hatten, waren längst selbst tot. Jetzt aber fasste man die Lehre aus dem einstigen Geschehen in einer Geschichte zusammen. Es geht in ihr nicht darum, bloße Fakten zu berichten. Vielmehr wird eine Erlebensmöglichkeit aufgezeigt. So könnte es jetzt, heute, hier sein!
Wir sehen zwei Jünger wandernd auf einem Weg. Es sind zwei Menschen, zwei – keine Massen, aber auch kein Einzelgänger. Christentum vermittelt sich nur in der Gemeinschaft, im Gespräch miteinander. Das ist eine erste Beobachtung.
Dann ist diese Gemeinschaft auf dem Weg. Leben ist Gehen. Der gezeichnete Weg führt nicht nur von A nach B. Es ist der Lebensweg, wie wir alle ihn gehen. Was auf dem Weg geschieht, geschieht in den Grenzen von Raum und Zeit. Alles auf dem Lebensweg ist begrenzt durch den Tod und durch das Leid, das auf den Tod zuführt.
Mit solchen Gedanken werden die beiden Männer in Gesprächen beschäftigt sein. Und sie sind traurig. Sie reiben sich an der Grenze.
Nun aber tritt ein Unbekannter zu ihnen als wenn eine andere Dimension an sie heranträte. Der Unbekannte erklärt, dass dieses Leiden und der Tod Sinn machen. Es ist gar keine Grenze, vielmehr so etwas wie ein Durchgang. In sich scheint es sinnlos, aber es dient dem größeren Sinn des Lebens. Ins Leben will es verwandeln, dorthinein will es führen.
Jesus musste leiden. GOTT aber hat ihn auferweckt – heißt es im Text.
Ein Unbekannter oder ein Unerkannter zeigt unserem Leben, dem begrenzten, also erst einen wirklichen Sinn. Was wir hier konkret leben und erleben, erscheint plötzlich in einer neuen Dimension. Aber das merken wir nur, wenn wir tatsächlich auf dem Weg sind, wenn wir gehen, wenn wir lebendig unseren Lebensweg gehen. Man kann es nicht theoretisch erfassen. Man muss es erfahren, besser ergehen.
Was wir erfahren, ahnen wir mehr, als dass wir es wissen. Wir ahnen, dass unser Leben einmal vollendet sein soll. Wir ahnen, dass alles, was hier auf der Erde nur Sehnsucht war, nur Teil oder Fragment, einmal ganz sein soll. So geschieht es zunächst einmal, aber im Nachhinein – als sie schon wissen, dass es so ist – sagen die Männer: Brannte nicht unser Herz auf dem Weg? Haben wir es nicht geahnt, besser: intuitiv gewusst?
Das ist die Glut im Herzen! Ein Unbekannter, ein anderer Mensch und vielleicht manchmal auch ein Unbekanntes, ein Neues, ein Zentralerlebnis kann uns diese Glut erschließen. Wo 2 oder 3 in meinem Namen versammelt sind, da ist Jesus unter ihnen. Dann wird die Glut zum Feuer und die neue Sicht- u. Lebensweise tut sich auf. Zum Alltäglichen tritt die zugehörige spirituelle Dimension.
Nun gibt es aber nicht nur das Unterwegssein im Leben mit spiritueller Qualität. Am Wegesrand stehen auch Einkehrhäuser. Neben dem Alltag des Lebensweges - wie wir ihn alle Tage leben – gibt es auch das Haus des Sonntags. Besonders wenn es Abend wird, wenn es dunkel auf dem Lebensweg ist, können und wollen wir einkehren.
Auch die beiden Jünger tun das, und sie laden den Unerkannten ein, bei ihnen zu bleiben. Dann geschieht noch einmal genau das gleiche wie auf dem Weg. Wieder soll Bekanntes und Gewöhnliches einen anderen, tieferen Sinn bekommen. Man isst zu Abend. Das ist das Gewöhnliche und Bekannte. Als der Fremde nun aber das Brot bricht und es teilt, begreifen sie: hier ist mehr als nur ein Abendessen. Hier ist zugleich Gemeinschaft in dichtester Form, hier ist Einheit und Verbindung. Himmel und Erde verbinden sich. Alle und alles wird eins. Das Brot verweist.
Das ist der Herr – sagen sie.
Dazu also ist das Haus am Wege da. Man kann in ihm rituell und symbolisch, verdichtet feiern und erfahren, was einem auch im Leben begegnet. Alles bekommt einen anderen, einen tieferen Sinn. Der Ritus, das Symbol verweisen auf eine ganze Wirklichkeit.
Das Eigentliche und Entscheidende aber kommt erst jetzt. Nachdem der Fremde es ihnen auf dem Weg erklärt hat und nachdem sie es gemeinsam am Tisch erlebt haben, nachdem ihnen die Lehre erschlossen worden ist und die rituelle Feier des Erlebten vollzogen ist, ist der unerkannte Herr verschwunden. Vielleicht würden sie ihn ja gerade jetzt gerne festhalten. Sie würden ihn gerne verehren, immer noch mehr hören wollen und seine Worte und Handlungen tiefen. Aber als Gegenüber oder als ein Objekt ist der Herr nicht mehr nötig. Er ist vielmehr Subjekt in den Jüngern selbst geworden, ganz wie in Maria Magdalena am 1. Ostermorgen. Der Herr ist jetzt in ihnen, in ihrem Denken und Verstehen, in ihrem ganzen Erleben. Er ist einer von ihnen und sie sind ER.
Jesus festhalten zu wollen, ist gefährlich. Es macht abhängig, wie ein kleines Kind abhängig ist. Wer an etwas oder an jemandem klebt, wird nicht erwachsen.
Die Buddhisten sagen: „Triffst du Buddha unterwegs – d.h. triffst du den Lehrer, den Guru – dann töte ihn“. Damit vermeiden sie, abhängig zu bleiben. Sie tragen die Buddhaschaft wie jeder Mensch selber in sich.
Auch in unserer Geschichte verschwindet am Ende der Lehrer und Meister. Jetzt gilt es, selber ein Stück auf dem Weg voranzukommen. Die Männer wissen, dass Jesus lebt. Er ist auferstanden, wie sie das in ihrem Leben, in ihrer eigenen Auferstehung des neuen Verstehens der alten Tradition über Leid, Tod und Leben selbst erfahren haben. Sie können zu den anderen als Zeugen des Auferstandenen und der Auferstehung zurückkehren.
Auch wir sind Emmaus-Jünger. Auch wir suchen die Nähe zu Gott und zu Jesus. Zunächst suchen wir sie in der Begegnung mit dem, was uns von außen entgegenkommt. Das ganze Leben ist unser Material. Wir müssen es durchleben, bis es uns umgestaltet und zu veränderten Menschen macht. Jesus geht als Unerkannter an unserer Seite ein gehörig Stück mit.
Ebenfalls feiern wir das Mahl mit rein äußerlichem Brot und Wein, bis es in uns selbst zu neuem Brot und Wein wird. Bis wir selbst Nahrung und Freude, Nahrung und Feuer geworden sind.
Was nur äußerlich bleibt, gefährdet uns, weil es uns klein und abhängig macht. Wir werden uns schließlich selbst fremd und kommen nicht zu unseren erwachsenen Möglichkeiten. Es ist gefährlich ein Leben lang hinter heiligen Vätern wie hinter einem Guru herzulaufen. Wir sollen selbst väterlich und mütterlich werden. Wir haben nicht die Buddhaschaft, aber Christus in uns.
Die Emmaus-Geschichte zeigt uns ein spirituelles Programm: die Schriften und d.h. auch das alltägliche Leben verstehen und ihm den Sinn geben, das Mahl feiern als Verweis auf die ganze Wirklichkeit, selber Christus werden. Das sind die drei Schritte auf dem spirituellen Weg nach Emmaus
.
Das ist zugleich die elementarste Osterbotschaft: Christus ist auferstanden. Wir laufen hinter ihm her, weil wir selbst auferstanden leben. Christus ist nicht nur unter uns. Er ist in uns.
AMEN
Sonntag, 5. April 2009
Endlich eingezogen... Jesu Einzug am Palmsonntag
Endlich eingezogen in die Welt - Jesu Einzug in Jerusalem - Joh.12, Lk. 22
Liebe Gemeinde,
in einer der ersten Glutpredigten haben wir über den Auszug der Israeliten aus Ägypten nachgedacht. Über den Exodus, den Moses angeführt hat.
Da geriet eine Menge in Bewegung. Es ging geradezu um Bewegung. Ein Weg musste überhaupt erst gefunden werden und es war ein Fluchtweg. Israel machte sich bedrängt und bedrückt auf den Weg.
Ganz entscheidend war der Aufbruch. Nur weg aus der Sklaverei! Aber wohin? Niemand wusste das genau. Jedenfalls führte der Weg nicht direkt ins Paradies, sondern in mancherlei Mühsal hinein. Aber er führte in die Freiheit. Gott war dabei, und er war in dem Weg – als Wolke oder als Feuersäule.
Auch am heutigen Palmsonntag geht es um einen Weg und um Bewegung. Aber es ist jetzt kein Auszug, keine Flucht mehr, sondern ein Einzug, ein Ankommen, auch wenn es gar nicht in 1. Linie um ein Ziel geht. Dieser Moment, das Jetzt ist wichtig. Es ist ein Gottesmoment. Gott ereignet sich in diesem Moment.
Wenn wir uns die Szenerie vorstellen,- was sehen wir?
Ohne Zweifel ist Jesus der Mittelpunkt. Er ist einfach, aber festlich, blendend weiß, leuchtend wie Licht gekleidet. Er reitet auf einem Esel und erscheint nicht wie ein Kriegsherr, vor dem man Angst haben müsste. Menschen sind um ihn herum, alle und alles: Männer, Frauen, Kinder – vor allem Kinder -, ein paar verlumpte Gestalten sieht man, Menschen mit schweren Behinderungen und Gesunde, Alte und Junge, ein paar Vornehme und vor allem viel, viel Volk.
Ein Weg wird zubereitet. Oder entsteht er im Gehen?
Jesus reitet wie auf Wolken. Er zeiht auf ausgebreiteten Kleidern einher wie auf einem Teppich.
Palmzweige – das sind Friedenssymbole – werden geschwenkt. Es wird gesungen und gerufen: Hosianna dem Sohn Davids, dem Gottessohn, der da kommt im Namen des Herrn. Es klingt, als käme Gott selber.
Auch noch andere stehen am Weg: Neugierige, die nur nichts verpassen wollen, Arme und Kranke, die etwas für sich ergattern wollen, Distanzierte, die eher angewidert aussehen, Sicherheitskräfte, die um die öffentliche Ordnung bangen, Priester und Obrigkeiten, die einen Aufruhr befürchten und die, weil sie ihn wittern, bereits beraten, wie man den Zug stoppen könnte.
Da ist aber nichts zu stoppen. Da ist pure Begeisterung. Ein Kairos ist da, eine Zeit ist reif, die Gelegenheit ist da. Alles und alle drängen in diesen Aufbruch hinein. Alle wollen sich in ihm ausdrücken. Und wenn nicht die Menschen so in Bewegung gerieten, dann würde es die stumme Natur vormachen. Selbst die Unbeweglichsten, die Steine, begönnen zu schreien.
Warum führt Jesus eine solche Bewegung an?
Möchte er wie ein Superstar einmal im Rampenlicht stehen? Ist er ein politischer Demonstrant, der der Macht das Fürchten lehren will? Ist er eine Art Friedens-Hippy, der eine Gala wie ein Happening inszeniert?
An allem könnte etwas dran sein, aber hier vollzieht sich noch weitaus mehr.
Hier ist Endzeit. Und das ist nicht mehr zu toppen. Hier ist Frieden und Macht und Power in eins gefallen. Hier hat sich altes Leid in Freude gewandelt. Hier sind alle Gegensätze – Klein und Groß, Arm und Reich, Kind und Greis, Mann und Frau, Hoch und Tief – eben keine Gegensätze mehr, Es ist der Moment, wo die Welt sich wandelt – und nur das zählt.
Es ist der Moment, auf den die Menschen gewartet haben, seit sie aus Ägypten ausgezogen sind. Jetzt ziehen sie ein. Lahme sind gehend geworden, Blinde sehend, Taube hörend, Aussätzige rein. Und es herrscht Frieden!
Jesus inszeniert nichts. Es ist so! Hosianna und Halleluja sind echt. Es kommt alles aus tiefstem Herzen – und die Menschen sind glücklich. Sie sind in Bewegung und Gott zieht mit.
Jesus ist da, Jesus ist mittendrin. Er ist der Friedenskönig. Er ist der Gesalbte. Sohn Davids.
Wir wissen aber, wie es weitergeht – anders als die Erstteilnehmer. Es gibt einen Verrat, eine Verleugnung, einen ganz kurzen Prozess, ein Todesurteil, einen grauenhaften Tod, eine schwarze, schmerzende Stille am Tage danach, und es gibt – Ostern, das Fest der Feste.
Alles, was bis zum Karfreitag oder Karsamstag geschieht, ist kein Gegensatz zum Palmsonntag. Das alles ist Endzeit. In dieser Gestalt und in keiner anderen soll der Frieden wirklich erscheinen. So soll er unter die Menschen kommen. Leid und Kreuz gehören dazu.
Der Palmsonntag ist nur der Auftakt. Es ist das Vorzeichen. Ostern leuchtet schon, aber es scheint nur hindurch.
Alles das ist im Kern , in nuce, das, was Christen glauben: So elementar in Bewegung und zugleich in Stille, so in Kraft und zugleich in Frieden, so unterschiedlich und differenziert und zugleich in Einheit, so soll und so kann der Mensch und seine Welt sein. Das ist das Ziel!
Und wir? Erleben wir auch so etwas? Oder ist in 2000 Jahren alles ganz anders geworden? Wo ist die Bewegung? Wo ist der Aufbruch? Wo ist der Funke, der die Glut zum Feuer entfacht?
Auf der Suche nach einer Antwort schauen wir noch einmal in unsere Geschichte und in die ganze Passionsgeschichte. Dort treten ja alle diese unterschiedlichsten Personen auf. Sie sind ein Panoptikum der menschlichen Gesellschaft. Es gibt Ängstliche und Gewalttätige, Verräter, Verleugner, Verbrecher, Notabeln, Könige und Priester, einfaches Volk, reine Masse, Trauernde und Schmähende. Wer von diesen bin ich?
Auch in der Einzugsgeschichte wird dieses ganze Panoptikum schon sichtbar. Da gibt es Berührte und Ungerührte, Beteiligte und bloße Zuschauer, Sympathisanten und Distanzierte, Freunde und Gegner. Betrachten wir die alle und das alles nun nur unsrerseits aus der Distanz oder identifizieren wir uns? Wer sind wir dann? Wer bin ich?
Natürlich sind wir Christen. Vielleicht sind wir etwas müde, aber Christen sind wir.. Wir gehören schon zum inneren Kreis. Wie aber geraten wir so in Bewegung wie in dem Urgeschehen gezeigt? Wie werden wir zur Bewegung? Erneut zu „Gefährten des neuen Weges“, wie die Apostelgeschichte die Christen nennt?
Solange uns das alles nur von außen angepredigt wird, ist es schlecht. Solange tut sich auch nichts wirklich. Höchstens ein schlechtes Gewissen oder Abneigung und Überforderung stellt sich ein. Jesus hat auch niemanden in seinen Zug hineingezwungen oder hineinmanipuliert.
Jede wirkliche Bewegung kommt von innen. Wenn wir selbst spüren, dass dieser Zug gut ist und auch gut tut, dass es schön ist, so zu gehen, sich zu bewegen, viel zu erfahren, in Kommunikation, Begegnung und Hilfeleistung zu geraten, was mir selber Freude macht,- wenn das geschieht, ist es gut. Jesus ruft uns in seinen Zug, solange wir „nur“ am Wege stehen, aber er tut es sehr indirekt und zurückhaltend. Was der Zug bietet, merken wir erst, wenn wir mitgehen. Wir merken es durch die Praxis und nicht durch graue Theorie.
Ein Weg wird erst Weg, wenn man ihn geht. Wir lernen auf ihm viel über die Menschen und über Gott und über uns. Wir kommen allem näher. Das ist schon das ganze Ziel.
Nie geht einer allein. Es geht immer eine ganze Gemeinde. Eine Gemeinde wird im Gehen.
Lasst uns also gehen! Jesus geht schon 2000 Jahre lang. 2000 Jahre Einzug!
Es wird Zeit, dass wir von reinen Zuschauern zu Bewegten werden, dass wir uns bewegen.
AMEN
Liebe Gemeinde,
in einer der ersten Glutpredigten haben wir über den Auszug der Israeliten aus Ägypten nachgedacht. Über den Exodus, den Moses angeführt hat.
Da geriet eine Menge in Bewegung. Es ging geradezu um Bewegung. Ein Weg musste überhaupt erst gefunden werden und es war ein Fluchtweg. Israel machte sich bedrängt und bedrückt auf den Weg.
Ganz entscheidend war der Aufbruch. Nur weg aus der Sklaverei! Aber wohin? Niemand wusste das genau. Jedenfalls führte der Weg nicht direkt ins Paradies, sondern in mancherlei Mühsal hinein. Aber er führte in die Freiheit. Gott war dabei, und er war in dem Weg – als Wolke oder als Feuersäule.
Auch am heutigen Palmsonntag geht es um einen Weg und um Bewegung. Aber es ist jetzt kein Auszug, keine Flucht mehr, sondern ein Einzug, ein Ankommen, auch wenn es gar nicht in 1. Linie um ein Ziel geht. Dieser Moment, das Jetzt ist wichtig. Es ist ein Gottesmoment. Gott ereignet sich in diesem Moment.
Wenn wir uns die Szenerie vorstellen,- was sehen wir?
Ohne Zweifel ist Jesus der Mittelpunkt. Er ist einfach, aber festlich, blendend weiß, leuchtend wie Licht gekleidet. Er reitet auf einem Esel und erscheint nicht wie ein Kriegsherr, vor dem man Angst haben müsste. Menschen sind um ihn herum, alle und alles: Männer, Frauen, Kinder – vor allem Kinder -, ein paar verlumpte Gestalten sieht man, Menschen mit schweren Behinderungen und Gesunde, Alte und Junge, ein paar Vornehme und vor allem viel, viel Volk.
Ein Weg wird zubereitet. Oder entsteht er im Gehen?
Jesus reitet wie auf Wolken. Er zeiht auf ausgebreiteten Kleidern einher wie auf einem Teppich.
Palmzweige – das sind Friedenssymbole – werden geschwenkt. Es wird gesungen und gerufen: Hosianna dem Sohn Davids, dem Gottessohn, der da kommt im Namen des Herrn. Es klingt, als käme Gott selber.
Auch noch andere stehen am Weg: Neugierige, die nur nichts verpassen wollen, Arme und Kranke, die etwas für sich ergattern wollen, Distanzierte, die eher angewidert aussehen, Sicherheitskräfte, die um die öffentliche Ordnung bangen, Priester und Obrigkeiten, die einen Aufruhr befürchten und die, weil sie ihn wittern, bereits beraten, wie man den Zug stoppen könnte.
Da ist aber nichts zu stoppen. Da ist pure Begeisterung. Ein Kairos ist da, eine Zeit ist reif, die Gelegenheit ist da. Alles und alle drängen in diesen Aufbruch hinein. Alle wollen sich in ihm ausdrücken. Und wenn nicht die Menschen so in Bewegung gerieten, dann würde es die stumme Natur vormachen. Selbst die Unbeweglichsten, die Steine, begönnen zu schreien.
Warum führt Jesus eine solche Bewegung an?
Möchte er wie ein Superstar einmal im Rampenlicht stehen? Ist er ein politischer Demonstrant, der der Macht das Fürchten lehren will? Ist er eine Art Friedens-Hippy, der eine Gala wie ein Happening inszeniert?
An allem könnte etwas dran sein, aber hier vollzieht sich noch weitaus mehr.
Hier ist Endzeit. Und das ist nicht mehr zu toppen. Hier ist Frieden und Macht und Power in eins gefallen. Hier hat sich altes Leid in Freude gewandelt. Hier sind alle Gegensätze – Klein und Groß, Arm und Reich, Kind und Greis, Mann und Frau, Hoch und Tief – eben keine Gegensätze mehr, Es ist der Moment, wo die Welt sich wandelt – und nur das zählt.
Es ist der Moment, auf den die Menschen gewartet haben, seit sie aus Ägypten ausgezogen sind. Jetzt ziehen sie ein. Lahme sind gehend geworden, Blinde sehend, Taube hörend, Aussätzige rein. Und es herrscht Frieden!
Jesus inszeniert nichts. Es ist so! Hosianna und Halleluja sind echt. Es kommt alles aus tiefstem Herzen – und die Menschen sind glücklich. Sie sind in Bewegung und Gott zieht mit.
Jesus ist da, Jesus ist mittendrin. Er ist der Friedenskönig. Er ist der Gesalbte. Sohn Davids.
Wir wissen aber, wie es weitergeht – anders als die Erstteilnehmer. Es gibt einen Verrat, eine Verleugnung, einen ganz kurzen Prozess, ein Todesurteil, einen grauenhaften Tod, eine schwarze, schmerzende Stille am Tage danach, und es gibt – Ostern, das Fest der Feste.
Alles, was bis zum Karfreitag oder Karsamstag geschieht, ist kein Gegensatz zum Palmsonntag. Das alles ist Endzeit. In dieser Gestalt und in keiner anderen soll der Frieden wirklich erscheinen. So soll er unter die Menschen kommen. Leid und Kreuz gehören dazu.
Der Palmsonntag ist nur der Auftakt. Es ist das Vorzeichen. Ostern leuchtet schon, aber es scheint nur hindurch.
Alles das ist im Kern , in nuce, das, was Christen glauben: So elementar in Bewegung und zugleich in Stille, so in Kraft und zugleich in Frieden, so unterschiedlich und differenziert und zugleich in Einheit, so soll und so kann der Mensch und seine Welt sein. Das ist das Ziel!
Und wir? Erleben wir auch so etwas? Oder ist in 2000 Jahren alles ganz anders geworden? Wo ist die Bewegung? Wo ist der Aufbruch? Wo ist der Funke, der die Glut zum Feuer entfacht?
Auf der Suche nach einer Antwort schauen wir noch einmal in unsere Geschichte und in die ganze Passionsgeschichte. Dort treten ja alle diese unterschiedlichsten Personen auf. Sie sind ein Panoptikum der menschlichen Gesellschaft. Es gibt Ängstliche und Gewalttätige, Verräter, Verleugner, Verbrecher, Notabeln, Könige und Priester, einfaches Volk, reine Masse, Trauernde und Schmähende. Wer von diesen bin ich?
Auch in der Einzugsgeschichte wird dieses ganze Panoptikum schon sichtbar. Da gibt es Berührte und Ungerührte, Beteiligte und bloße Zuschauer, Sympathisanten und Distanzierte, Freunde und Gegner. Betrachten wir die alle und das alles nun nur unsrerseits aus der Distanz oder identifizieren wir uns? Wer sind wir dann? Wer bin ich?
Natürlich sind wir Christen. Vielleicht sind wir etwas müde, aber Christen sind wir.. Wir gehören schon zum inneren Kreis. Wie aber geraten wir so in Bewegung wie in dem Urgeschehen gezeigt? Wie werden wir zur Bewegung? Erneut zu „Gefährten des neuen Weges“, wie die Apostelgeschichte die Christen nennt?
Solange uns das alles nur von außen angepredigt wird, ist es schlecht. Solange tut sich auch nichts wirklich. Höchstens ein schlechtes Gewissen oder Abneigung und Überforderung stellt sich ein. Jesus hat auch niemanden in seinen Zug hineingezwungen oder hineinmanipuliert.
Jede wirkliche Bewegung kommt von innen. Wenn wir selbst spüren, dass dieser Zug gut ist und auch gut tut, dass es schön ist, so zu gehen, sich zu bewegen, viel zu erfahren, in Kommunikation, Begegnung und Hilfeleistung zu geraten, was mir selber Freude macht,- wenn das geschieht, ist es gut. Jesus ruft uns in seinen Zug, solange wir „nur“ am Wege stehen, aber er tut es sehr indirekt und zurückhaltend. Was der Zug bietet, merken wir erst, wenn wir mitgehen. Wir merken es durch die Praxis und nicht durch graue Theorie.
Ein Weg wird erst Weg, wenn man ihn geht. Wir lernen auf ihm viel über die Menschen und über Gott und über uns. Wir kommen allem näher. Das ist schon das ganze Ziel.
Nie geht einer allein. Es geht immer eine ganze Gemeinde. Eine Gemeinde wird im Gehen.
Lasst uns also gehen! Jesus geht schon 2000 Jahre lang. 2000 Jahre Einzug!
Es wird Zeit, dass wir von reinen Zuschauern zu Bewegten werden, dass wir uns bewegen.
AMEN
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