Montag, 23. März 2009

Zachäus - wie ein Mensch zum Menschen wird

ZACHÄUS - Lukas 19 Zwischen Versteck und Offenheit

Liebe Gemeinde,

manche Geschichten der Bibel begleiten uns ein lebenlang. Vielleicht sind es mehr die Personen in den Geschichten als die Geschichten selber. Als wenn diese Menschen einen Funken Glut in sich trügen oder ein Weisheitsmoment des Lebens, das sie weitertragen zu anderen Menschen.
In ihren Geschichten finden wir Spuren einer großen alten Menschheitstradition, manchmal nur einen Glutgedanken, der aber zum Feuer in vielen entfacht werden kann. Er verwandelt die Menschen, die sich betroffen und getroffen zeigen.
Eine solche Verwandlung ist ja die Botschaft Johannes des Täufers und mehr noch auch die des Jesus von Nazareth: Kehret um! Tut Buße! Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen.

Angesichts einer solchen Botschaft fragen wir uns: Warum sollen wir überhaupt umkehren? Ist nicht alles gut so, wie es eben ist? Wohin sollen wir uns denn kehren? Können wir überhaupt umkehren, oder ist ein solches Ansinnen nicht eine ständige Überforderung des Menschen?
Was ist schon das „Himmelreich“? Wirklich etwas Konkretes oder ein Ideal, vielleicht sogar nur ein Traumgesicht?

An einer Person der biblischen Geschichte finden alle diese Fragen eine Antwort. An Zachäus, einem jüdisch – römischen Zollbeamten. Er ist eine dieser Personen, die mich von Kindheitszeiten an begleiten. Wahrscheinlich nicht ohne Grund. Was ist er für ein Menschentyp? Welche Facetten machen sein Leben aus? Sind wir nicht selbst – zumindest partiell – ein Teil von ihm?
Und dann: Wie geht Jesus mit ihm um? Zu welcher Kehrtwende führt ihn das? Wie vollzieht sich diese Wende und wie kommt das Heil in das Leben dieses Menschen – und über ihn auch in die Welt?

Zunächst einmal stellen wir fest, dass Zachäus ein reicher Mann ist, der mit großen Befugnissen ausgestattet ist. Ganz im Gegensatz dazu ist er aber öffentlich geradezu verachtet, wenig anerkannt, eher sogar gemieden.
Er ist es gewohnt, Dinge anzuordnen, zu befehlen. Man ist ihm zu Diensten. Ganz im Gegensatz dazu aber klettert er wie ein kleiner Junge auf einen Baum, einerseits um sich zu verstecken, andrerseits aber um doch alles aus übergeordneter Perspektive mit zu kriegen.
Er ist es gewohnt, öffentlich aufzutreten, aber er versteckt sich auch im Hintergrund.
Er ist groß von seinen Funktionen her, aber ein kleiner Mann von Körpergestalt. Und er will gerne größer erscheinen, womöglich so groß wie ein Baum.
Er lebt vermutlich in einem ansehnlichen Bürgerhaus, aber er lebt von Korruption und Betrug.
Er will gerne alles sehen, aber sich doch selbst nicht gerne zeigen.
Kurzum: er ist ein gespaltener, zerrissener, höchst widersprüchlicher Mensch. Vielleicht einer, der sich nicht zeigen darf, weil er zuviel zu verbergen hat. Andrerseits ist auch schon zuviel bekannt, als dass er sich noch frei bewegen und zeigen könnte.

Zachäus verkörpert ein Grunddilemma des Menschen: Wer ist er eigentlich? Ein böser Mensch etwa? Verbrecherisch, korrupt? Ein Kollaborateur oder ein Opportunist?
Oder ist er im Kern vielleicht doch ein guter Mensch? Jedenfalls doch einer, der auf der Suche ist. Einer, der noch etwas anderes vom Leben will als nur Einkommen und Macht.

Trotzdem wird er auch bei seiner Suche nun wieder Angst haben, etwas von sich zu verlieren, etwas los lassen zu müssen von dem, was er sich errafft hat.
Wo er hingeht, was er tut – sein Dilemma folgt. Sein Grundproblem nimmt er mit, denn es liegt in seiner eigenen Tiefe.

Wie geht Jesus nun mit ihm um? Wie erweist er sich als guter „Therapeut“?

Zunächst einmal durchbricht Jesus das Dickicht, den Blätterwald. Er durchstößt die 1., die äußere Mauer, die Zachäus um sich errichtet hat. Er spricht den Zachäus an und tritt von sich aus in Kontakt zu ihm. Die Verbergungsmaßnahmen des Zachäus, sein Versteckspielen macht für Jesus keinen Sinn. Jesus redet ihn mit Namen an als kennte er ihn schon lange. Er, Jesus, stellt eine Beziehung her.

Das bereits ist schon gewaltig. Viele Menschen leiden unter Beziehungslosigkeit. Nicht nur, weil die anderen nicht wollen, oder sie sogar ablehnen. Sondern weil man selbst nicht kann. Weil sich zuviel zwischen die Menschen schiebt: Hemmungen, schlechtes Gewissen, Vorurteile, was auch immer. Beziehungslosigkeit ist das Grundübel des Menschen. Alle Gottlosigkeit und jede Sünde kommt letztlich aus der Beziehungslosigkeit. Sie ist Beziehungslosigkeit.

Die Menschen auf dem Bild unserer kleinen Kinderbibel, die Menschen in der Geschichte schauen mit offenem Mund: Was will dieser Zachäus hier? Was will er? Das ist doch ein Sünder, ein Outcast! Sie grenzen also aus. Sie, die Menschen, kappen die Beziehung.
Jesus aber spricht ihn an. Er stellt zuerst Beziehung her.

Was Jesus nun sagt, ist wirklich ungewöhnlich. Er spricht den Zachäus auf das hin an, was dieser positiv zu geben vermag. Er spricht ihn eindeutig und ausschließlich auf die gute Seite in ihm an. Er beginnt nicht mit Vorwürfen, sondern lädt sich frank und frei ein. „Heute will ich bei dir einkehren!“ Dein Haus kann Wohnstatt sein. Du kannst gastfreundlich sein.

Vielleicht meint Jesus gar nicht nur sein Haus. Vielleicht meint er gerade sein Herz, das ja auch ein Haus, eine Herberge, eine bergende Hülle sein kann.
Zachäus, der immer nur genommen hat – auch betrügerisch und ungerecht – und der sich mehr und mehr verschlossen hat, soll geben und sich öffnen lernen. Und er kann es! Jesus spricht ihn geradezu auf dieses Vermögen hin an. Nimm mich in dein Herz! Sei Herberge mit deinem Haus und deinem Herzen!

Zachäus merkt nicht nur schnell, dass es geht, sondern dass es sogar schön ist und Freude macht, so zu tun. Er findet Gefallen daran. Ganz aus freien Stücken sagt er: Die Hälfte von allem, was ich habe, den Armen! Allen, die ich betrogen habe, das Vierfache zurück!

Da wird nichts erzwungen. Im Hintergrund steht keine Moral oder eine neue Berechnung. Es macht einfach Freude, gut zu sein. Er kann nicht genug davon bekommen, aktiv gut zu sein.

Damit hat Jesus auch die 2., die innere Mauer durchbrochen. Er hat das Herz des Zachäus erschlossen und geöffnet. Zachäus ändert sich, ohne dass er es als solches bemerkt. Es ist so. Jesus hat eine Dimension seines Herzens geöffnet, die ihm vorher unbekannt und verborgen war.

Wenn Jesus sagt: Kehret um!, dann meint er nicht: Zwingt euch zu einem neuen, anderen – und wie ihr manchmal meint – zu einem besseren Leben! Solche Aufforderungen bringen nichts. Sie bewirken nur weitere Enttäuschungen und programmieren neue Niederlagen.
Jesus meint vielmehr: Findet zuerst euer wirkliches Leben! Es ist ja schon in euch. Das Reich Gottes, das Himmelreich ist in euch. Du, Zachäus, kannst es beherbergen. Du kannst dich selbst geben. Du musst dich nicht im Blattwerk, im Gebüsch verbergen. Du sollst deine Widersprüche und Verstrickungen nicht weiter pflegen müssen. Du kannst! Du sollst endlich der sein, der du bist.

Das ist eigentlich das ganze Geheimnis, wie du Mensch die verglimmende Glut in dir zu neuem Feuer entfachen lassen kannst. Es wächst von selbst, wie jedes Feuer wächst, wenn es nur Nahrung hat. Die Nahrung aber ist das ganze Leben.

Jesus hat nichts gefordert. Keine Wiedergutmachung, kein Bessermachen. Er verlangt nur diesen 1. kleinen Schritt in ein Vermögen hinein, das in einem jeden steckt. Alles andere folgt von selbst.

Jesus verändert Sichtweisen. So kommt das Heil in die Welt. Aus seinen Zwiespältigkeiten, seinen Widersprüchen und Verwicklungen kommt Zachäus zur Eindeutigkeit. Das gefällt ihm. Es ist wie eine Befreiung. So zu leben, macht Freude.

Diese Freude erwartet auch uns, denn, liebe Gemeinde, der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist.

AMEN

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen