ZACHÄUS - Lukas 19 Zwischen Versteck und Offenheit
Liebe Gemeinde,
manche Geschichten der Bibel begleiten uns ein lebenlang. Vielleicht sind es mehr die Personen in den Geschichten als die Geschichten selber. Als wenn diese Menschen einen Funken Glut in sich trügen oder ein Weisheitsmoment des Lebens, das sie weitertragen zu anderen Menschen.
In ihren Geschichten finden wir Spuren einer großen alten Menschheitstradition, manchmal nur einen Glutgedanken, der aber zum Feuer in vielen entfacht werden kann. Er verwandelt die Menschen, die sich betroffen und getroffen zeigen.
Eine solche Verwandlung ist ja die Botschaft Johannes des Täufers und mehr noch auch die des Jesus von Nazareth: Kehret um! Tut Buße! Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen.
Angesichts einer solchen Botschaft fragen wir uns: Warum sollen wir überhaupt umkehren? Ist nicht alles gut so, wie es eben ist? Wohin sollen wir uns denn kehren? Können wir überhaupt umkehren, oder ist ein solches Ansinnen nicht eine ständige Überforderung des Menschen?
Was ist schon das „Himmelreich“? Wirklich etwas Konkretes oder ein Ideal, vielleicht sogar nur ein Traumgesicht?
An einer Person der biblischen Geschichte finden alle diese Fragen eine Antwort. An Zachäus, einem jüdisch – römischen Zollbeamten. Er ist eine dieser Personen, die mich von Kindheitszeiten an begleiten. Wahrscheinlich nicht ohne Grund. Was ist er für ein Menschentyp? Welche Facetten machen sein Leben aus? Sind wir nicht selbst – zumindest partiell – ein Teil von ihm?
Und dann: Wie geht Jesus mit ihm um? Zu welcher Kehrtwende führt ihn das? Wie vollzieht sich diese Wende und wie kommt das Heil in das Leben dieses Menschen – und über ihn auch in die Welt?
Zunächst einmal stellen wir fest, dass Zachäus ein reicher Mann ist, der mit großen Befugnissen ausgestattet ist. Ganz im Gegensatz dazu ist er aber öffentlich geradezu verachtet, wenig anerkannt, eher sogar gemieden.
Er ist es gewohnt, Dinge anzuordnen, zu befehlen. Man ist ihm zu Diensten. Ganz im Gegensatz dazu aber klettert er wie ein kleiner Junge auf einen Baum, einerseits um sich zu verstecken, andrerseits aber um doch alles aus übergeordneter Perspektive mit zu kriegen.
Er ist es gewohnt, öffentlich aufzutreten, aber er versteckt sich auch im Hintergrund.
Er ist groß von seinen Funktionen her, aber ein kleiner Mann von Körpergestalt. Und er will gerne größer erscheinen, womöglich so groß wie ein Baum.
Er lebt vermutlich in einem ansehnlichen Bürgerhaus, aber er lebt von Korruption und Betrug.
Er will gerne alles sehen, aber sich doch selbst nicht gerne zeigen.
Kurzum: er ist ein gespaltener, zerrissener, höchst widersprüchlicher Mensch. Vielleicht einer, der sich nicht zeigen darf, weil er zuviel zu verbergen hat. Andrerseits ist auch schon zuviel bekannt, als dass er sich noch frei bewegen und zeigen könnte.
Zachäus verkörpert ein Grunddilemma des Menschen: Wer ist er eigentlich? Ein böser Mensch etwa? Verbrecherisch, korrupt? Ein Kollaborateur oder ein Opportunist?
Oder ist er im Kern vielleicht doch ein guter Mensch? Jedenfalls doch einer, der auf der Suche ist. Einer, der noch etwas anderes vom Leben will als nur Einkommen und Macht.
Trotzdem wird er auch bei seiner Suche nun wieder Angst haben, etwas von sich zu verlieren, etwas los lassen zu müssen von dem, was er sich errafft hat.
Wo er hingeht, was er tut – sein Dilemma folgt. Sein Grundproblem nimmt er mit, denn es liegt in seiner eigenen Tiefe.
Wie geht Jesus nun mit ihm um? Wie erweist er sich als guter „Therapeut“?
Zunächst einmal durchbricht Jesus das Dickicht, den Blätterwald. Er durchstößt die 1., die äußere Mauer, die Zachäus um sich errichtet hat. Er spricht den Zachäus an und tritt von sich aus in Kontakt zu ihm. Die Verbergungsmaßnahmen des Zachäus, sein Versteckspielen macht für Jesus keinen Sinn. Jesus redet ihn mit Namen an als kennte er ihn schon lange. Er, Jesus, stellt eine Beziehung her.
Das bereits ist schon gewaltig. Viele Menschen leiden unter Beziehungslosigkeit. Nicht nur, weil die anderen nicht wollen, oder sie sogar ablehnen. Sondern weil man selbst nicht kann. Weil sich zuviel zwischen die Menschen schiebt: Hemmungen, schlechtes Gewissen, Vorurteile, was auch immer. Beziehungslosigkeit ist das Grundübel des Menschen. Alle Gottlosigkeit und jede Sünde kommt letztlich aus der Beziehungslosigkeit. Sie ist Beziehungslosigkeit.
Die Menschen auf dem Bild unserer kleinen Kinderbibel, die Menschen in der Geschichte schauen mit offenem Mund: Was will dieser Zachäus hier? Was will er? Das ist doch ein Sünder, ein Outcast! Sie grenzen also aus. Sie, die Menschen, kappen die Beziehung.
Jesus aber spricht ihn an. Er stellt zuerst Beziehung her.
Was Jesus nun sagt, ist wirklich ungewöhnlich. Er spricht den Zachäus auf das hin an, was dieser positiv zu geben vermag. Er spricht ihn eindeutig und ausschließlich auf die gute Seite in ihm an. Er beginnt nicht mit Vorwürfen, sondern lädt sich frank und frei ein. „Heute will ich bei dir einkehren!“ Dein Haus kann Wohnstatt sein. Du kannst gastfreundlich sein.
Vielleicht meint Jesus gar nicht nur sein Haus. Vielleicht meint er gerade sein Herz, das ja auch ein Haus, eine Herberge, eine bergende Hülle sein kann.
Zachäus, der immer nur genommen hat – auch betrügerisch und ungerecht – und der sich mehr und mehr verschlossen hat, soll geben und sich öffnen lernen. Und er kann es! Jesus spricht ihn geradezu auf dieses Vermögen hin an. Nimm mich in dein Herz! Sei Herberge mit deinem Haus und deinem Herzen!
Zachäus merkt nicht nur schnell, dass es geht, sondern dass es sogar schön ist und Freude macht, so zu tun. Er findet Gefallen daran. Ganz aus freien Stücken sagt er: Die Hälfte von allem, was ich habe, den Armen! Allen, die ich betrogen habe, das Vierfache zurück!
Da wird nichts erzwungen. Im Hintergrund steht keine Moral oder eine neue Berechnung. Es macht einfach Freude, gut zu sein. Er kann nicht genug davon bekommen, aktiv gut zu sein.
Damit hat Jesus auch die 2., die innere Mauer durchbrochen. Er hat das Herz des Zachäus erschlossen und geöffnet. Zachäus ändert sich, ohne dass er es als solches bemerkt. Es ist so. Jesus hat eine Dimension seines Herzens geöffnet, die ihm vorher unbekannt und verborgen war.
Wenn Jesus sagt: Kehret um!, dann meint er nicht: Zwingt euch zu einem neuen, anderen – und wie ihr manchmal meint – zu einem besseren Leben! Solche Aufforderungen bringen nichts. Sie bewirken nur weitere Enttäuschungen und programmieren neue Niederlagen.
Jesus meint vielmehr: Findet zuerst euer wirkliches Leben! Es ist ja schon in euch. Das Reich Gottes, das Himmelreich ist in euch. Du, Zachäus, kannst es beherbergen. Du kannst dich selbst geben. Du musst dich nicht im Blattwerk, im Gebüsch verbergen. Du sollst deine Widersprüche und Verstrickungen nicht weiter pflegen müssen. Du kannst! Du sollst endlich der sein, der du bist.
Das ist eigentlich das ganze Geheimnis, wie du Mensch die verglimmende Glut in dir zu neuem Feuer entfachen lassen kannst. Es wächst von selbst, wie jedes Feuer wächst, wenn es nur Nahrung hat. Die Nahrung aber ist das ganze Leben.
Jesus hat nichts gefordert. Keine Wiedergutmachung, kein Bessermachen. Er verlangt nur diesen 1. kleinen Schritt in ein Vermögen hinein, das in einem jeden steckt. Alles andere folgt von selbst.
Jesus verändert Sichtweisen. So kommt das Heil in die Welt. Aus seinen Zwiespältigkeiten, seinen Widersprüchen und Verwicklungen kommt Zachäus zur Eindeutigkeit. Das gefällt ihm. Es ist wie eine Befreiung. So zu leben, macht Freude.
Diese Freude erwartet auch uns, denn, liebe Gemeinde, der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist.
AMEN
Montag, 23. März 2009
Mittwoch, 18. März 2009
JESUS UND DIE KINDER
Die Kinder als Wegweiser zum Himmel Markus 10,15 u. Lukas 7,32
Liebe Gemeinde,
einmal habe ich in unserer Kirche, der Lutherkirche am Stadtpark in Bochum, ein kleines Mädchen – Jana – getauft. Sie war schon 15 Monate alt, konnte also bereits laufen, und sie wollte es auch. Sie wollte sich bewegen und lief in der Kirche hin und her.
Dabei entdeckte sie unseren gläsernen Altar in der Mitte und drückte sich ihr Näschen an den Scheiben platt – wie Kinder es gerne tun. Schließlich hat sie ausgerechnet an der Scheibe, auf der sich die Aufschrift „ hier ist ein Kind mit 5 Broten und 2 Fischen“ befindet, festgestellt, dass es Spalten zwischen den einzelnen Scheiben gibt und dass man hindurchgucken und sogar hindurchgreifen kann, dass man auf das Innenleben des Altars zupacken könnte, wenn die Ärmchen nur nicht noch zu kurz wären.
Jedes Kind ist neugierig und unternehmenslustig. Es ist geradezu begierig nach Entdeckungen. Es will Erfahrungen machen, Begreifen und erleben.
Wer unser Büchlein über die Lutherkirche gelesen hat, der weiß, dass ich die innerste Mitte unserer Kirche, - die Säule aus dem großen Leuchter und dem Altar - als Abbild von Himmel und Erde – also als Abbild des „Ganzen“ interpretiere und damit auch als Hinweis und Verweis auf Gott verstehe, der uns nährt an Leib und Seele. Und weil nun alles Sein und alles Geschehen auch ein Gleichnis ist, sagt mir das kleine und neugierige Mädchen Jana, woran wir uns annähern sollen, was wir ergreifen und berühren sollen. Noch niemand ist der Mitte unserer Kirche seit wir sie eingerichtet haben wohl so nahe gekommen, wie dieses kleine Mädchen.
Als ich die Bibelverse für den Altar aussuchte, habe ich besonders auf diesen einen, oft überlesenen Vers von dem Kind mit „den 5 Broten und 2 Fischen“ aus der Speisungsgeschichte der 5000 Wert gelegt. Das Kind ist die Quelle dieser Speisung. Mit dem Beitrag und der Gabe eines Kindes fängt alles überhaupt erst an.
Damit sind wir beim Thema: Jesus und die Kinder. Weil dieses nun eine Glutpredigt ist, stellt sich die Frage, welche Glut in den Kindern liegt. Was bringen uns die Kinder? Welche Hinweise geben sie für unser Erwachsenenleben?
Bevor wir nun zu „Jesus und die Kinder“ kommen, noch eine andere Geschichte. Vor kurzer Zeit ist ein Buch von Jirina Prekop – einer Kinder- und Jugendtherapeutin – und Gerald Hüther – einem Hirnforscher in Göttingen – erschienen. Es heißt: Auf Schatzsuche bei unseren Kindern. Die Grundthese des Buches ist folgende: Jeder Mensch ist schon von den ersten Wochen im Mutterleibe an so angelegt, dass er über sich hinauswachsen und über sich hinaussehen will. Er ist auf Beziehung angelegt und deshalb mit einer Fülle von Gaben ausgestattet, die das ermöglichen.
Das Kind will vertrauen und sich mit der Mutter auch schon ohne Worte verstehen z.B. Deshalb spiegeln beide. Jeder gibt wieder, was er beim anderen sieht. Jeder von uns kennt das: ein lachendes Kind lacht man unwillkürlich ebenfalls an.
Weiterhin: Das Kind will die Welt ohne Vorurteile entdecken. Auch Spinnen sind also schön.
Es will Dankbarkeit zeigen.
Es fragt energisch nach dem richtigen Weg – und das immer wieder, bis es zufriedengestellt ist und Grenzen der Beantwortbarkeit erfahren hat. Die berühmten Warum-Fragen.
Das Kind will ehrlich sein. „Sag Oma am Telefon, ich bin nicht da“, geht dann nur um den Preis einer Grunderschütterung.
Da steckt also ein großer Schatz in den Kindern. Es ist sehr viel Gold oder auch Glut in ihnen.
Nur – ganz anders als bei den Alchimisten im Mittelalter, die versuchten, aus Blei Gold zu machen und damit letztlich das Wesen des Menschen veredeln wollten – versuchen die Menschen heute aus dem Gold in den Kindern Blei zu machen. Und in der Regel kriegen sie das auch gut hin. Die jüngsten Amokfälle in Deutschland zeigen das drastisch und grauenvoll.
Eine solche Verwandlung von Seelengold in Blei fabrizieren die Eltern oder Lehrer oder wer auch immer nicht bösartig, sondern eher tragischerweise, weil aus ihnen selber so bleihaltige Menschen gemacht worden sind. Es gibt da geradezu bleihaltige Zusammenhänge über Generationen.
Das alles untersucht und beschreibt das Buch. Wie aus Gold Blei wird. Aber auch, wie man unter dem Blei das Gold noch ahnen, suchen und finden kann. Das Buch ist so etwas wie ein modernes Kinderevangelium, das wir ja bei jeder Taufe hören.
Es kommt mir nun vor, als hätte Jesus das alles ebenfalls schon über die Kinder gewusst, und als hätte er auch in diesem Wissen gehandelt. Nämlich: den Schatz im Menschen suchen und dort im Menschen die Glut finden. Dann diese Schätze zum Wachsen und zum Blühen zu bringen – das wollte er und das hat er getan.
Wir sollten nicht missverstehen: Jesus idealisiert das Kind oder das Kindsein nicht. Kindsein per se ist noch nicht viel. Gerade auch im Kind kann schon soviel Blei vorhanden sein, dass es auch in frühester Zeit schon verlernt hat, zu tanzen. Einmal sagt Jesus deshalb zu grauen Menschen: „Ihr seid wie die Kinder, denen man aufspielte, aber sie wollten nicht tanzen.“ Da ist schon alles schwer – wie Blei eben – geworden. Wenn man dem aber auf den Grund geht, dann ist es bei den Kindern so eben nicht normal.
Einmal wollten Mütter mit ihren Kindern zu Jesus. Die bleischweren Jünger aber wollten vorsorglich trennen. Hier Kinder und da Erwachsene, als hätten beide nichts miteinander zu tun, als könnten sie nichts miteinander anfangen. Als Jesus das merkte, wurde er böse. Nicht oft wird gerade das von Jesus gesagt. Aber hier – wohl weil es um das Elementarste geht – nun doch. „Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, so kommt ihr nicht ins Reich Gottes“ – sagt er. Das heißt doch, dass die Kinder schon im Reich Gottes sind. Sie sind geradezu das Reich Gottes, weil sie das Gold wie einen Schatz im Acker in sich haben, wenn man es nur sein und wirken ließe.
Das oben erwähnte Buch ist voller Beispiele dafür. Hier nur eines: Eine Mutter ist mit ihrem kleinen Kind im Kurheim. Es ist offensichtlich ein christliches Haus, denn man isst nicht einfach so drauflos. Der Heimleiter hält – vielleicht doch etwas verschämt – einen Moment Stille und sagt dann: Ich bin dankbar, dass die Sonne heute so schön scheint, und ich freue mich auf unseren Ausflug heute Nachmittag. Amen. Das Kind findet diesen Ritus so interessant, dass es ihn am nächsten Tag selber sprechen will. Der Mutter ist das hochnotpeinlich – und es wird noch peinlicher als das Kind vor allen Leuten sagt: das musst du auch mal machen. Morgen bist du dran! Hier hat das Kind die Mutter beten gelehrt und nicht umgekehrt. Und es hat sie dankbar sein und Freude empfinden und ausdrücken gelehrt.
Wo ist hier der Schatz, das Gold? Und wo ist das Blei ?
Stellen wir uns das vor: wir – 20 oder 30 Haushalte, die wir hier versammelt sind, täten das einmal oder doch manchmal am Tage: innehalten und etwas aussprechen, wofür ich dankbar bin und worauf ich mich freue. Das allein schon würde uns, unsere Gemeinde und - über den Zusammenhang von allem mit allem - unsere Welt verändern. Mehr Gold würde sichtbar. Mehr Glut würde mehr Wärme verbreiten. Weniger Blei würde das Leben schwer und giftig machen.
Unendlich viel Gold ist in uns verborgen, versteckt, klein gemacht worden, belächelt, ausgetrieben, verhindert, verbogen worden. Aber es kann auch neu anfangen zu glänzen.
AMEN
Liebe Gemeinde,
einmal habe ich in unserer Kirche, der Lutherkirche am Stadtpark in Bochum, ein kleines Mädchen – Jana – getauft. Sie war schon 15 Monate alt, konnte also bereits laufen, und sie wollte es auch. Sie wollte sich bewegen und lief in der Kirche hin und her.
Dabei entdeckte sie unseren gläsernen Altar in der Mitte und drückte sich ihr Näschen an den Scheiben platt – wie Kinder es gerne tun. Schließlich hat sie ausgerechnet an der Scheibe, auf der sich die Aufschrift „ hier ist ein Kind mit 5 Broten und 2 Fischen“ befindet, festgestellt, dass es Spalten zwischen den einzelnen Scheiben gibt und dass man hindurchgucken und sogar hindurchgreifen kann, dass man auf das Innenleben des Altars zupacken könnte, wenn die Ärmchen nur nicht noch zu kurz wären.
Jedes Kind ist neugierig und unternehmenslustig. Es ist geradezu begierig nach Entdeckungen. Es will Erfahrungen machen, Begreifen und erleben.
Wer unser Büchlein über die Lutherkirche gelesen hat, der weiß, dass ich die innerste Mitte unserer Kirche, - die Säule aus dem großen Leuchter und dem Altar - als Abbild von Himmel und Erde – also als Abbild des „Ganzen“ interpretiere und damit auch als Hinweis und Verweis auf Gott verstehe, der uns nährt an Leib und Seele. Und weil nun alles Sein und alles Geschehen auch ein Gleichnis ist, sagt mir das kleine und neugierige Mädchen Jana, woran wir uns annähern sollen, was wir ergreifen und berühren sollen. Noch niemand ist der Mitte unserer Kirche seit wir sie eingerichtet haben wohl so nahe gekommen, wie dieses kleine Mädchen.
Als ich die Bibelverse für den Altar aussuchte, habe ich besonders auf diesen einen, oft überlesenen Vers von dem Kind mit „den 5 Broten und 2 Fischen“ aus der Speisungsgeschichte der 5000 Wert gelegt. Das Kind ist die Quelle dieser Speisung. Mit dem Beitrag und der Gabe eines Kindes fängt alles überhaupt erst an.
Damit sind wir beim Thema: Jesus und die Kinder. Weil dieses nun eine Glutpredigt ist, stellt sich die Frage, welche Glut in den Kindern liegt. Was bringen uns die Kinder? Welche Hinweise geben sie für unser Erwachsenenleben?
Bevor wir nun zu „Jesus und die Kinder“ kommen, noch eine andere Geschichte. Vor kurzer Zeit ist ein Buch von Jirina Prekop – einer Kinder- und Jugendtherapeutin – und Gerald Hüther – einem Hirnforscher in Göttingen – erschienen. Es heißt: Auf Schatzsuche bei unseren Kindern. Die Grundthese des Buches ist folgende: Jeder Mensch ist schon von den ersten Wochen im Mutterleibe an so angelegt, dass er über sich hinauswachsen und über sich hinaussehen will. Er ist auf Beziehung angelegt und deshalb mit einer Fülle von Gaben ausgestattet, die das ermöglichen.
Das Kind will vertrauen und sich mit der Mutter auch schon ohne Worte verstehen z.B. Deshalb spiegeln beide. Jeder gibt wieder, was er beim anderen sieht. Jeder von uns kennt das: ein lachendes Kind lacht man unwillkürlich ebenfalls an.
Weiterhin: Das Kind will die Welt ohne Vorurteile entdecken. Auch Spinnen sind also schön.
Es will Dankbarkeit zeigen.
Es fragt energisch nach dem richtigen Weg – und das immer wieder, bis es zufriedengestellt ist und Grenzen der Beantwortbarkeit erfahren hat. Die berühmten Warum-Fragen.
Das Kind will ehrlich sein. „Sag Oma am Telefon, ich bin nicht da“, geht dann nur um den Preis einer Grunderschütterung.
Da steckt also ein großer Schatz in den Kindern. Es ist sehr viel Gold oder auch Glut in ihnen.
Nur – ganz anders als bei den Alchimisten im Mittelalter, die versuchten, aus Blei Gold zu machen und damit letztlich das Wesen des Menschen veredeln wollten – versuchen die Menschen heute aus dem Gold in den Kindern Blei zu machen. Und in der Regel kriegen sie das auch gut hin. Die jüngsten Amokfälle in Deutschland zeigen das drastisch und grauenvoll.
Eine solche Verwandlung von Seelengold in Blei fabrizieren die Eltern oder Lehrer oder wer auch immer nicht bösartig, sondern eher tragischerweise, weil aus ihnen selber so bleihaltige Menschen gemacht worden sind. Es gibt da geradezu bleihaltige Zusammenhänge über Generationen.
Das alles untersucht und beschreibt das Buch. Wie aus Gold Blei wird. Aber auch, wie man unter dem Blei das Gold noch ahnen, suchen und finden kann. Das Buch ist so etwas wie ein modernes Kinderevangelium, das wir ja bei jeder Taufe hören.
Es kommt mir nun vor, als hätte Jesus das alles ebenfalls schon über die Kinder gewusst, und als hätte er auch in diesem Wissen gehandelt. Nämlich: den Schatz im Menschen suchen und dort im Menschen die Glut finden. Dann diese Schätze zum Wachsen und zum Blühen zu bringen – das wollte er und das hat er getan.
Wir sollten nicht missverstehen: Jesus idealisiert das Kind oder das Kindsein nicht. Kindsein per se ist noch nicht viel. Gerade auch im Kind kann schon soviel Blei vorhanden sein, dass es auch in frühester Zeit schon verlernt hat, zu tanzen. Einmal sagt Jesus deshalb zu grauen Menschen: „Ihr seid wie die Kinder, denen man aufspielte, aber sie wollten nicht tanzen.“ Da ist schon alles schwer – wie Blei eben – geworden. Wenn man dem aber auf den Grund geht, dann ist es bei den Kindern so eben nicht normal.
Einmal wollten Mütter mit ihren Kindern zu Jesus. Die bleischweren Jünger aber wollten vorsorglich trennen. Hier Kinder und da Erwachsene, als hätten beide nichts miteinander zu tun, als könnten sie nichts miteinander anfangen. Als Jesus das merkte, wurde er böse. Nicht oft wird gerade das von Jesus gesagt. Aber hier – wohl weil es um das Elementarste geht – nun doch. „Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, so kommt ihr nicht ins Reich Gottes“ – sagt er. Das heißt doch, dass die Kinder schon im Reich Gottes sind. Sie sind geradezu das Reich Gottes, weil sie das Gold wie einen Schatz im Acker in sich haben, wenn man es nur sein und wirken ließe.
Das oben erwähnte Buch ist voller Beispiele dafür. Hier nur eines: Eine Mutter ist mit ihrem kleinen Kind im Kurheim. Es ist offensichtlich ein christliches Haus, denn man isst nicht einfach so drauflos. Der Heimleiter hält – vielleicht doch etwas verschämt – einen Moment Stille und sagt dann: Ich bin dankbar, dass die Sonne heute so schön scheint, und ich freue mich auf unseren Ausflug heute Nachmittag. Amen. Das Kind findet diesen Ritus so interessant, dass es ihn am nächsten Tag selber sprechen will. Der Mutter ist das hochnotpeinlich – und es wird noch peinlicher als das Kind vor allen Leuten sagt: das musst du auch mal machen. Morgen bist du dran! Hier hat das Kind die Mutter beten gelehrt und nicht umgekehrt. Und es hat sie dankbar sein und Freude empfinden und ausdrücken gelehrt.
Wo ist hier der Schatz, das Gold? Und wo ist das Blei ?
Stellen wir uns das vor: wir – 20 oder 30 Haushalte, die wir hier versammelt sind, täten das einmal oder doch manchmal am Tage: innehalten und etwas aussprechen, wofür ich dankbar bin und worauf ich mich freue. Das allein schon würde uns, unsere Gemeinde und - über den Zusammenhang von allem mit allem - unsere Welt verändern. Mehr Gold würde sichtbar. Mehr Glut würde mehr Wärme verbreiten. Weniger Blei würde das Leben schwer und giftig machen.
Unendlich viel Gold ist in uns verborgen, versteckt, klein gemacht worden, belächelt, ausgetrieben, verhindert, verbogen worden. Aber es kann auch neu anfangen zu glänzen.
AMEN
Montag, 9. März 2009
Vom Verlorenen und vom Finden - Lukas 15
Predigt über Lukas 15 - Vom Verlorenen und vom Finden – ein Weg ins Er-
wachsene
Liebe Gemeinde,
Es gibt Texte in der Bibel da genügt ein einziges Wort, um sie zu interpretieren oder doch eine ganze Linie des Verständnisses vorzugeben. So bekannt sind diese Texte. Z.B. das 15. Kapitel des Lukasevangeliums. Da geht es um das Verlorene oder den Verlorenen oder die Verlorenen.
Verloren… wer oder was geht da verloren? Warum geht etwas verloren und wie? Und wie wird es wiedergefunden? Was bedeutet das Berichtete für Gott und die Menschen?
Bei dem Stichwort „Verloren“ denken wir gleich an eine ganze Palette negativer Begriffe. Verloren ist, was moralisch anstössig ist, das Ungezogene, Unartige, wo Hopfen und Malz eben verloren ist – das alles ist wirklich verloren.
Als ich in der kleinen Hosentaschenbibel das Bild zu unserer Geschichte sah, fiel mir schnell auf, dass die Bildseite mit dem einen, verlorenen Schaf und dem suchenden und nachsteigenden Hirten viel lebendiger und interessanter aussah als die andere Seite mit den 99 brav weidenden Schafen in der Herde. Bei ihnen war alles blass und langweilig, selbst die Hirtenhunde hatten sich verkrochen und nichts zu tun. Auf der Seite des sog. verlorenen Schafes aber gab es spitze Felsen und saftig grüne Pflanzen, die aus den Felsspalten herauskrochen, Abgründe und himmelshohe Spitzen. Alles war farbig.
Da ist ein anderer Gedanke schnell nahe: Wie, wenn es gar nicht in 1. Linie um das „arme“ Verlorene ginge, sondern um etwas ganz anderes? Etwas, was erst dahinter sichtbar wird: Erwachsen-werden oder Erwachsen-sein etwa?!
Wie wird man das - erwachsen? Nicht körperlich – das geschieht ja in der Regel von ganz alleine. Psychisch aber und noch interessanter: spirituell. Wie wird man ein geistlich reifer Mensch? Wie bleibt man im Glauben und in der Seele eben kein Kleinkind? Wie wächst man hin zu Gott, indem man erwachsen wird? Wie wird man ein erwachsener Mensch? Vielleicht sind das die wirklichen Fragen der Geschichten vom Verlorenen.
In der vorigen Glutpredigt hörten wir von der Heilung eines Blinden. Die Heilung bestand nicht darin, dass er alles irgendwie sehen kann, sondern dass er lernt, das Heil zu sehen. Das erst ist Heilung: das Heil zu sehen. Wenn man die Geschichten in Lukas 15 unter dem Leitwort „Erwachsen-werden“ betrachtet, gehen auf einmal ganz andere Aspekte auf. Eine neue Lesart erschließt die Geschichten anders. Eine solche neue Lesart wollen wir jetzt auch versuchen.
Von Kindern weiß man, dass sie gerne „Verstecken und Suchen“ spielen. Wenn die Kinder klein sind, denken sie gerne, dass man sie nicht sähe, wenn sie nur selbst nichts mehr sehen können. Zum Verstecken reicht es also, die Hände vor die eigenen Augen zu halten. Dann kann man nach Belieben unsichtbar oder sichtbar werden, gesucht werden oder sich finden lassen.
In einer kleinen jüdischen Geschichte spielen Kinder Verstecken. Ein Kind findet nun ein so verborgenes Versteck, dass es trotz allen Suchens nicht gefunden wird. Nach langer Zeit kommt das Kind aus seinem Versteck und muss enttäuscht feststellen, dass die anderen es gar nicht mehr gesucht haben.
Der Trauvers eines mir bekannten Brautpaares lautete: Ich will dich suchen und mich von dir finden lassen.
Man kann diese Worte oder auch den Vorgang selber auch auf das Verhältnis „Gott – Mensch“ anwenden. Wer versteckt sich da und wer sucht? Versteckt sich etwa Gott und die Menschen suchen – oder auch nicht? Verstecken sich die Menschen und Gott sucht – oder auch nicht?
Unsere Geschichte erzählt, dass sich ein Schaf verlaufen hat, sich versteckt hat und dass der Hirte es sucht. Jeder einzelne, meint das, ein jeder ist unendlich wertvoll. Ein jeder und eine jede ist der Suche wert. Und wenn ein Kind richtig erwachsen werden soll, muss es lange gesucht werden und es ist oftmals zu finden. Es darf weglaufen, ja es muss weglaufen. Die Felsen und Abgründe sind viel interessanter, ereignisreicher und spannender als die langweiligen Weideplätze der Herde. Aber es muss auch gesucht und gefunden werden. Es will auch gefunden werden. Auf keinen Fall will es am Ende sagen: Ihr habt mich ja gar nicht gesucht. War ich es euch nicht wert?
Daran krankt ja unsere Zeit, eben, dass wir die Kinder nicht richtig suchen. Es ist dies allerdings ein recht empfindlicher Weg mit vielen Verstecken und abgründigen Fallen. Das oben erwähnte Trauversprechen zeigt, dass „Suchen und Finden“ auch ein Thema für das Erwachsenenleben bleibt. Und es ist ein großes Thema für das Verhältnis und die Beziehung zwischen Gott und den Menschen. Es gehört in die Vorbereitung zum Erwachsen-werden. Wer genügend gesucht wurde, der wandelt sich. Das sehen wir deutlich in der 2. Geschichte unseres Textes, in der berühmten Geschichte vom sog. „verlorenen“ Sohn. Eigentlich aber heißt diese Geschichte besser „Vom Suchen und Finden eines Vaters und vom Suchen und Finden seiner beiden Söhne“.
Mit den Augen des älteren Sohnes wollen wir das Geschehen jetzt zuerst einmal betrachten.
Dieser Sohn sagt zu seinem Vater: Nie hast du mich so in den Arm genommen, nie hast du mich so gesucht wie den Hallodri, den Jüngeren, den, der sein Erbe schon vor der Zeit verprasst hat! Nie hast du für mich ein Kalb geschlachtet!
Das sagt zwar der ältere Bruder, psychisch aber ist er der Kleinere und Jüngere geblieben.
Was sagst du da? – erwidert der Vater. Alles, was mir gehört, gehört doch auch dir. Ich muss dir nicht mehr geben. Du hast ja alles. Du nimmst es nur nicht wahr. Wüsstest du es, dann könntest du jetzt auch geben wie ein wirklich älterer, erwachsener Bruder. Eigentlich müsstest du selber schon Vater sein, aber du jammerst wie ein kleines Kind. Du buhlst um meine Gunst. Du willst immer noch für deine Artigkeit und Tüchtigkeit belohnt werden. Deshalb auch bleibst du der Konkurrent deines Bruders. Du würdest ihn gerne überall sehen, selbst wenn es die Hölle wäre, wenn es nur nicht hier, zuhause, ist. Wirst du eigentlich nie satt? Vielleicht habe ich dich nicht genug gesucht als du klein warst. Das mag sein. Aber wenn es so ist, dann lerne wenigstens jetzt: Werde groß. Wachse über dich hinaus! Feier mit uns! Verspann dich nicht! Komm herein! Dein Bruder ist durch den Tod gegangen, so verloren war er. Aber er lebt. Er ist ein anderer geworden. Er ist erwachsen. Das ist zu feiern, nichts sonst.
Damit sind wir bei dem jüngeren Bruder.
Es sieht so aus, als wäre sein Weggehen, sein Verlorengehen, sein Verstecken bitter nötig gewesen. Es ging dabei gar nicht um das „süße Leben“. Das vermutet nur der andere Bruder, weil er projektiert. Er ist neidisch und phantasiert. Ein süßes Leben hätte er sich gewünscht, aber ihm fehlte der Mut dazu.
Hinausgegangen aber ist der andere. Vielleicht hat er sogar den einen oder anderen Erfolg gehabt, vielleicht hat er mit viel Risiko das eine oder andere aufgebaut. Seelisch aber ist er dabei leider auf den Hund, sogar aufs Schwein gekommen. Da „ging er in sich“ – heißt es in der Bibel.
C.G.Jung, der große Psychoanalytiker und jüngere Konkurrent von S.Freud, hat gesagt, dass in der 2. Lebenshälfte alle Lebensprobleme eigentlich religiöser Art sind. Wenn sie alt genug sind, genügen den Menschen die äußeren Erfolge und großen Lebensleistungen nicht mehr. Was soll das Haus, das große Auto, die Edelküche, die Traumreisen, wenn die Seele nicht satt wird?
„Er ging in sich“ und findet Fragen wie „Wo komme ich her? Warum bin ich hier? Wo soll ich hin?“, er sucht Heimat und Wurzeln, und er ist so wagemutig, es noch einmal freiwillig dort zu versuchen, wo er als Kind gezwungenermaßen herkam. In einem viel tieferen Sinn will er dort seinen Quell und sein Leben finden und die Antworten auf die wirklich existentiellen Fragen.
Wem ist der Vater eigentlich ähnlicher, könnte man fragen? Dem jüngeren oder dem älteren Sohn. So bitter es für den älteren klingt, es wird der jüngere sein. Den hat der Vater ja einmal ziehen lassen und den nimmt er verändert zurück, ohne ein Wort des Abstands oder des Vorwurfs oder der Moral. Wenn er ihn in den Arm nimmt, integriert er auch ein Stück von sich selbst. Da wird aus zweien wirklich einer. Auch der Vater hat sich versöhnt, ausgesöhnt mit dem, was er lange und gerne abgespalten und verdrängt hat. Er hat den Sohn gesucht, indem er gewartet hat. Er hat nichts erzwingen wollen. Jetzt zögert er nicht einen Augenblick, ihn anzunehmen, sobald sich auch nur von ferne eine Gelegenheit zeigt. Der jüngere Sohn ist erwachsen. Er soll Erbe sein und nicht nur Erbteil-Verschleuderer. Er hat sich gefunden. Er ist gefunden.
Zugleich ist der Vater so vollständig geworden. Er ist jetzt ein ganzer Vater, dem nichts fremd ist. Nicht sein entlaufener Sohn und nicht sein kleingebliebener, zurückgebliebener älterer Sohn.
Was sagt uns das? Was bedeutet es für unseren Glauben und für unser Leben?:
Gott sucht uns und wir suchen Gott.
Gott versteckt sich und wir verstecken uns.
Gott findet und wir finden.
Und so sieht der Weg aus, den der jüngere Sohn geht, um erwachsen zu werden:
Er geht hinaus in die Fremde und sucht das immer andere.
Er geht in sich und erkennt seine Armut.
Er geht zur Quelle und wird satt.
Und so ist es bei dem anderen:
Er bleibt immer Kind. Er leistet viel und will belohnt werden.
Ein guter Vater im Himmel wie auf Erden soll den Kleinen lieb haben.
Hoffentlich kommt der Moment, dass letzterer erkennen kann, dass es so nicht geht. Alle seine Bemühungen machen nicht reif. Sie machen neidisch, konkurrenzhaft und halten klein. Er will haben und kann nicht geben. Er will Sohn bleiben und verweigert sich, Vater zu werden.
Die Geschichte in der Bibel bleibt – wohl mit Absicht – offen. Aber dieser offene Moment ist vielleicht die letzte Chance, da hinein zu gehen, wo das Leben wirklich spielt. Am Fest teilzuhaben, das der Vater mit seinen Söhnen, mit beiden !, feiern will. Es ist nicht ein Fest, das er für sie veranstaltet. Es ist eines, das sie nur gemeinsam feiern können. Ein jeder ist Teil und trägt seinen Teil zum Ganzen bei.
So werden sie alle drei erst ganz.
AMEN
wachsene
Liebe Gemeinde,
Es gibt Texte in der Bibel da genügt ein einziges Wort, um sie zu interpretieren oder doch eine ganze Linie des Verständnisses vorzugeben. So bekannt sind diese Texte. Z.B. das 15. Kapitel des Lukasevangeliums. Da geht es um das Verlorene oder den Verlorenen oder die Verlorenen.
Verloren… wer oder was geht da verloren? Warum geht etwas verloren und wie? Und wie wird es wiedergefunden? Was bedeutet das Berichtete für Gott und die Menschen?
Bei dem Stichwort „Verloren“ denken wir gleich an eine ganze Palette negativer Begriffe. Verloren ist, was moralisch anstössig ist, das Ungezogene, Unartige, wo Hopfen und Malz eben verloren ist – das alles ist wirklich verloren.
Als ich in der kleinen Hosentaschenbibel das Bild zu unserer Geschichte sah, fiel mir schnell auf, dass die Bildseite mit dem einen, verlorenen Schaf und dem suchenden und nachsteigenden Hirten viel lebendiger und interessanter aussah als die andere Seite mit den 99 brav weidenden Schafen in der Herde. Bei ihnen war alles blass und langweilig, selbst die Hirtenhunde hatten sich verkrochen und nichts zu tun. Auf der Seite des sog. verlorenen Schafes aber gab es spitze Felsen und saftig grüne Pflanzen, die aus den Felsspalten herauskrochen, Abgründe und himmelshohe Spitzen. Alles war farbig.
Da ist ein anderer Gedanke schnell nahe: Wie, wenn es gar nicht in 1. Linie um das „arme“ Verlorene ginge, sondern um etwas ganz anderes? Etwas, was erst dahinter sichtbar wird: Erwachsen-werden oder Erwachsen-sein etwa?!
Wie wird man das - erwachsen? Nicht körperlich – das geschieht ja in der Regel von ganz alleine. Psychisch aber und noch interessanter: spirituell. Wie wird man ein geistlich reifer Mensch? Wie bleibt man im Glauben und in der Seele eben kein Kleinkind? Wie wächst man hin zu Gott, indem man erwachsen wird? Wie wird man ein erwachsener Mensch? Vielleicht sind das die wirklichen Fragen der Geschichten vom Verlorenen.
In der vorigen Glutpredigt hörten wir von der Heilung eines Blinden. Die Heilung bestand nicht darin, dass er alles irgendwie sehen kann, sondern dass er lernt, das Heil zu sehen. Das erst ist Heilung: das Heil zu sehen. Wenn man die Geschichten in Lukas 15 unter dem Leitwort „Erwachsen-werden“ betrachtet, gehen auf einmal ganz andere Aspekte auf. Eine neue Lesart erschließt die Geschichten anders. Eine solche neue Lesart wollen wir jetzt auch versuchen.
Von Kindern weiß man, dass sie gerne „Verstecken und Suchen“ spielen. Wenn die Kinder klein sind, denken sie gerne, dass man sie nicht sähe, wenn sie nur selbst nichts mehr sehen können. Zum Verstecken reicht es also, die Hände vor die eigenen Augen zu halten. Dann kann man nach Belieben unsichtbar oder sichtbar werden, gesucht werden oder sich finden lassen.
In einer kleinen jüdischen Geschichte spielen Kinder Verstecken. Ein Kind findet nun ein so verborgenes Versteck, dass es trotz allen Suchens nicht gefunden wird. Nach langer Zeit kommt das Kind aus seinem Versteck und muss enttäuscht feststellen, dass die anderen es gar nicht mehr gesucht haben.
Der Trauvers eines mir bekannten Brautpaares lautete: Ich will dich suchen und mich von dir finden lassen.
Man kann diese Worte oder auch den Vorgang selber auch auf das Verhältnis „Gott – Mensch“ anwenden. Wer versteckt sich da und wer sucht? Versteckt sich etwa Gott und die Menschen suchen – oder auch nicht? Verstecken sich die Menschen und Gott sucht – oder auch nicht?
Unsere Geschichte erzählt, dass sich ein Schaf verlaufen hat, sich versteckt hat und dass der Hirte es sucht. Jeder einzelne, meint das, ein jeder ist unendlich wertvoll. Ein jeder und eine jede ist der Suche wert. Und wenn ein Kind richtig erwachsen werden soll, muss es lange gesucht werden und es ist oftmals zu finden. Es darf weglaufen, ja es muss weglaufen. Die Felsen und Abgründe sind viel interessanter, ereignisreicher und spannender als die langweiligen Weideplätze der Herde. Aber es muss auch gesucht und gefunden werden. Es will auch gefunden werden. Auf keinen Fall will es am Ende sagen: Ihr habt mich ja gar nicht gesucht. War ich es euch nicht wert?
Daran krankt ja unsere Zeit, eben, dass wir die Kinder nicht richtig suchen. Es ist dies allerdings ein recht empfindlicher Weg mit vielen Verstecken und abgründigen Fallen. Das oben erwähnte Trauversprechen zeigt, dass „Suchen und Finden“ auch ein Thema für das Erwachsenenleben bleibt. Und es ist ein großes Thema für das Verhältnis und die Beziehung zwischen Gott und den Menschen. Es gehört in die Vorbereitung zum Erwachsen-werden. Wer genügend gesucht wurde, der wandelt sich. Das sehen wir deutlich in der 2. Geschichte unseres Textes, in der berühmten Geschichte vom sog. „verlorenen“ Sohn. Eigentlich aber heißt diese Geschichte besser „Vom Suchen und Finden eines Vaters und vom Suchen und Finden seiner beiden Söhne“.
Mit den Augen des älteren Sohnes wollen wir das Geschehen jetzt zuerst einmal betrachten.
Dieser Sohn sagt zu seinem Vater: Nie hast du mich so in den Arm genommen, nie hast du mich so gesucht wie den Hallodri, den Jüngeren, den, der sein Erbe schon vor der Zeit verprasst hat! Nie hast du für mich ein Kalb geschlachtet!
Das sagt zwar der ältere Bruder, psychisch aber ist er der Kleinere und Jüngere geblieben.
Was sagst du da? – erwidert der Vater. Alles, was mir gehört, gehört doch auch dir. Ich muss dir nicht mehr geben. Du hast ja alles. Du nimmst es nur nicht wahr. Wüsstest du es, dann könntest du jetzt auch geben wie ein wirklich älterer, erwachsener Bruder. Eigentlich müsstest du selber schon Vater sein, aber du jammerst wie ein kleines Kind. Du buhlst um meine Gunst. Du willst immer noch für deine Artigkeit und Tüchtigkeit belohnt werden. Deshalb auch bleibst du der Konkurrent deines Bruders. Du würdest ihn gerne überall sehen, selbst wenn es die Hölle wäre, wenn es nur nicht hier, zuhause, ist. Wirst du eigentlich nie satt? Vielleicht habe ich dich nicht genug gesucht als du klein warst. Das mag sein. Aber wenn es so ist, dann lerne wenigstens jetzt: Werde groß. Wachse über dich hinaus! Feier mit uns! Verspann dich nicht! Komm herein! Dein Bruder ist durch den Tod gegangen, so verloren war er. Aber er lebt. Er ist ein anderer geworden. Er ist erwachsen. Das ist zu feiern, nichts sonst.
Damit sind wir bei dem jüngeren Bruder.
Es sieht so aus, als wäre sein Weggehen, sein Verlorengehen, sein Verstecken bitter nötig gewesen. Es ging dabei gar nicht um das „süße Leben“. Das vermutet nur der andere Bruder, weil er projektiert. Er ist neidisch und phantasiert. Ein süßes Leben hätte er sich gewünscht, aber ihm fehlte der Mut dazu.
Hinausgegangen aber ist der andere. Vielleicht hat er sogar den einen oder anderen Erfolg gehabt, vielleicht hat er mit viel Risiko das eine oder andere aufgebaut. Seelisch aber ist er dabei leider auf den Hund, sogar aufs Schwein gekommen. Da „ging er in sich“ – heißt es in der Bibel.
C.G.Jung, der große Psychoanalytiker und jüngere Konkurrent von S.Freud, hat gesagt, dass in der 2. Lebenshälfte alle Lebensprobleme eigentlich religiöser Art sind. Wenn sie alt genug sind, genügen den Menschen die äußeren Erfolge und großen Lebensleistungen nicht mehr. Was soll das Haus, das große Auto, die Edelküche, die Traumreisen, wenn die Seele nicht satt wird?
„Er ging in sich“ und findet Fragen wie „Wo komme ich her? Warum bin ich hier? Wo soll ich hin?“, er sucht Heimat und Wurzeln, und er ist so wagemutig, es noch einmal freiwillig dort zu versuchen, wo er als Kind gezwungenermaßen herkam. In einem viel tieferen Sinn will er dort seinen Quell und sein Leben finden und die Antworten auf die wirklich existentiellen Fragen.
Wem ist der Vater eigentlich ähnlicher, könnte man fragen? Dem jüngeren oder dem älteren Sohn. So bitter es für den älteren klingt, es wird der jüngere sein. Den hat der Vater ja einmal ziehen lassen und den nimmt er verändert zurück, ohne ein Wort des Abstands oder des Vorwurfs oder der Moral. Wenn er ihn in den Arm nimmt, integriert er auch ein Stück von sich selbst. Da wird aus zweien wirklich einer. Auch der Vater hat sich versöhnt, ausgesöhnt mit dem, was er lange und gerne abgespalten und verdrängt hat. Er hat den Sohn gesucht, indem er gewartet hat. Er hat nichts erzwingen wollen. Jetzt zögert er nicht einen Augenblick, ihn anzunehmen, sobald sich auch nur von ferne eine Gelegenheit zeigt. Der jüngere Sohn ist erwachsen. Er soll Erbe sein und nicht nur Erbteil-Verschleuderer. Er hat sich gefunden. Er ist gefunden.
Zugleich ist der Vater so vollständig geworden. Er ist jetzt ein ganzer Vater, dem nichts fremd ist. Nicht sein entlaufener Sohn und nicht sein kleingebliebener, zurückgebliebener älterer Sohn.
Was sagt uns das? Was bedeutet es für unseren Glauben und für unser Leben?:
Gott sucht uns und wir suchen Gott.
Gott versteckt sich und wir verstecken uns.
Gott findet und wir finden.
Und so sieht der Weg aus, den der jüngere Sohn geht, um erwachsen zu werden:
Er geht hinaus in die Fremde und sucht das immer andere.
Er geht in sich und erkennt seine Armut.
Er geht zur Quelle und wird satt.
Und so ist es bei dem anderen:
Er bleibt immer Kind. Er leistet viel und will belohnt werden.
Ein guter Vater im Himmel wie auf Erden soll den Kleinen lieb haben.
Hoffentlich kommt der Moment, dass letzterer erkennen kann, dass es so nicht geht. Alle seine Bemühungen machen nicht reif. Sie machen neidisch, konkurrenzhaft und halten klein. Er will haben und kann nicht geben. Er will Sohn bleiben und verweigert sich, Vater zu werden.
Die Geschichte in der Bibel bleibt – wohl mit Absicht – offen. Aber dieser offene Moment ist vielleicht die letzte Chance, da hinein zu gehen, wo das Leben wirklich spielt. Am Fest teilzuhaben, das der Vater mit seinen Söhnen, mit beiden !, feiern will. Es ist nicht ein Fest, das er für sie veranstaltet. Es ist eines, das sie nur gemeinsam feiern können. Ein jeder ist Teil und trägt seinen Teil zum Ganzen bei.
So werden sie alle drei erst ganz.
AMEN
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